Offenbarung | Gott-menschliche Interaktionen (4/2023)

Editorial

Engel, Ulrich | Halft, Dennis

„Widerständige Offenbarung“ – so hatte die katholische „Arbeitsgemeinschaft Dogmatik und Fundamentaltheologie“ ihre Jahrestagung 2023 überschrieben. Debattiert wurde u. a. das spannungsreiche Verhältnis der menschlich-interpretierenden Rede über die Offenbarung (theologische Reflexion) zu ihrem Wirklichkeitsbezug (Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus). Wenn Paul Ricœur beispielsweise darauf insistiert, dass das Wort dem Ereignis folgt, dann kann Offenbarung als eine Art kritische Instanz gegenüber allen kirchlich-dogmatischen Engführungen verstanden werden.

Stichwort

Gottes Offenbarung im vulnerablen Fleisch

Engel, Ulrich

Die Offenbarungskonstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils thematisiert u. a. den inneren Konnex von Offenbarung und Inkarnation: „Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4).“ (DV 2)

Offenbarung

Mieth, Dietmar

Eckhart ist als Magister der Theologie auch „Magister sacrae scipturae“, also Lehrer der Schriftauslegung. Seine Werke machen dies deutlich: sie sind vor allem Schrift-Kommentare und Schrift-Predigten. Beides gehört für ihn zusammen, d. h. Glaubensauslegung und Glaubensverkündigung bilden eine Einheit. Dieser Ansatz unterscheidet sich von Thomas von Aquins theologischer Summe vor allem darin, dass letztere – mit einem theologischen Konzept – in großen Teilen die christliche Glaubenslehre ethisch-gesellschaftlich-kirchlich ausrichtet, während Eckhart immer beim „Ursprung“, also bei dem Göttlichen selbst als dem unablässig Wirkenden verbleibt und die Schöpfung – ähnlich wie die griechischen Kirchenväter – als vorbestimmte Heilsökonomie interpretiert.

Offenbarungsverständnis – eine islamische Perspektive

Mohagheghi, Hamideh

Der Koran, die primäre Quelle und Grundlage der islamischen Lehre, ist nach Überzeugung der Musliminnen und Muslime das Wort Gottes, das dem Propheten Muhammad über einen Zeitraum von 23 Jahren durch den Engel Gabriel offenbart wurde. Der Prophet Muhammad war auserwählt, die vermittelten Worte den ersten Adressaten in Mekka und Medina zu verkünden. Dieses Koranverständnis führte zum Urdogma, den Koran als übergeschichtlichen Text zu lesen.

Offenbarung und Ethik

Schmidt, Benedikt

Die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Ethik ist in ihrer Tragweite für die Identitäts- und Relevanzbestimmung religiös konnotierter Ethiken wie etwa der christlich-katholischen kaum zu überschätzen. Sie ist nicht nur für das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften wegweisend, von ihrer Bestimmung hängt auch ab, ob und wie sich religiös konnotierte Ethiken in einer postsäkular-pluralen Gesellschaft zu verorten und einzubringen vermögen. Eine Verbindung der wissenschaftlichen Reflexionsbegriffe „Offenbarung“ und „Ethik“ spiegelt die gemeinhin geteilte Annahme wider, dass Religionen hinsichtlich des guten Handelns eine Orientierungskompetenz beanspruchen. Dabei ist allerdings keineswegs eindeutig, wie die Begriffe zu definieren sind. Im Folgenden wird „Ethik“ mit Ludger Honnefelder wie folgt verwendet...

Offenbarung am säkularen Lernort Schule?

Uhrig, Christian

Christlicher Glaube spielt für Jugendliche keine Rolle mehr. So ein Ergebnis der Studie „Jugend in Deutschland“ aus dem Sommer 2022. Zwar gäbe es bei den meisten Jugendlichen ein religiöses Interesse, von Kirchen und dem von ihr verkündeten Glauben werden sie aber nicht mehr erreicht.1 Auch wenn diese Studie aufgrund ihrer Anlage mit nur wenigen Items zum Thema Religion „unbefriedigend und an der Oberfläche“ bleiben mag, zeigen andere Studien als „zentrale[s] Kennzeichen der Religiosita?t Jugendlicher […] die Vielfalt individueller Glaubensgeba?ude. In einer individualisierten und sich sa?kularisierenden Gesellschaft kann sich diese nahezu ungebremst ausdru?cken, denn religio?se Institutionen wie die Kirchen haben nahezu keine Mo?glichkeiten mehr, die religio?se Szene nachhaltig zu pra?gen oder gar zu kontrollieren.“2 Was aber bedeutet das für den theologisch zentralen Begriff der Offenbarung und die Auseinandersetzung mit ihm im Religionsunterricht am säkularen Lernort Schule?

Ein Dasein ohne Bedeutung und doch Offenbarung

Engel, Ulrich

1968 veröffentlichte der italienische Schriftsteller und Filmemacher Pier Paolo Pasolini (1922–1975) ein schmales Buch mit dem Titel „Teorema oder Die nackten Füße“1. Im gleichen Jahr kam auch sein Film „Teorema – Geometrie der Liebe“2 in die Kinos. Auch wenn „Teorema“ nicht unbedingt zu Pasolinis literarischen bzw. cineastischen Hauptwerken zu rechnen ist, handelt es sich doch um ein theologisch-ästhetisches Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts.

Dominikanische Gestalt

Elsbeth von Oye OP (ca. 1280–ca. 1350)

Wehrli-Johns, Martina

In der Zentralbibliothek Zürich befindet sich eine kleine Pergamenthandschrift aus dem 14. Jahrhundert. Sie trägt die Signatur Rh. 159, was bedeutet, dass sie ursprünglich aus dem 1862 aufgehobenen Benediktinerkloster Rheinau stammt, dessen Buchbestände 1864 vom Kanton Zürich übernommen und 1916 der Zentralbibliothek übergeben wurden. Die Handschrift verrät nichts über ihre ursprüngliche Herkunft und Bestimmung, deshalb wird sie im Katalog der mittelalterlichen Handschriften von Leo Cunibert Mohlberg aus dem Jahr 1951 nur ganz kurz tituliert als „Offenbarungen an eine Klosterfrau (deutsch)“ und datiert ins 14./15. Jahrhundert.

Wiedergelesen

Max Seckler „Die schiefen Wände des Lehrhauses“ (1988)

Dausner, René

Vor 35 Jahren hat der Tübinger Fundamentaltheologe, dessen Prüfungen – wie es heißt – von seinen Studierenden gefürchtet waren, einen denkwürdigen Sammelband vorgelegt. Der schöne, wenn auch irreführende, Haupttitel dieser aus mehr als zwei Jahrzehnten zusammengetragenen Aufsatzsammlung lautet: Die schiefen Wände des Lehrhauses.1 Schön ist dieser aus der jüdischen Erzähltradition entlehnte Titel, weil er eine präzise Umschreibung auch der Risse und „krummen Gemäuer“ (206) der christlichen Lehrgebäude bietet. Irreführend aber ist der Titel, weil die Anleihe der „schiefen oder jedenfalls nicht rektangulären Verfassung“ (206) ein nachträgliches, gleichwohl persönliches Statement des Verfassers im wenige Seiten umfassenden Epilog darstellt. Der essayistische Ton dieser Schlusspassage wirft also ein warmes und mildes Licht auf die strengeren und abstrakt-theoretischen Ausführungen, denen sie folgt. Diese retrospektive Charakterisierung hat das vornehmliche Ziel, eine gegenläufige Anleitung für die ansonsten übliche Leserichtung zu empfehlen: Wer also wissen will, was es mit dem Titel auf sich hat, sollte die Lektüre des Buches von seinem Ende her beginnen – von hinten nach vorn, oder wie ein hebräisches Buch: von rechts nach links. Niemand wird das Buch – zumal in der gegenwärtigen Hochphase der tiefsten Krise der katholischen Kirche und leider auch der Theologie – ohne Gewinn lesen.