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Margit Eckholt/Habib El Mallouki (Hrsg.), Offenbarung und Sprache. Hermeneutische und theologische Zugänge aus christlicher und islamischer Perspektive (Veröffentlichungen des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück Bd. 009), V&R unipress Göttingen/Universitätsverlag Osnabrück 2021, 309 S., € 45,–.

Staatliche Universitäten im deutschsprachigen Raum leisten sich inzwischen an mehr als einem Dutzend Standorten Islamische Theologie. Immer finden sich an derselben Hochschule dann auch christlich-theologische Professuren. Lohnt sich der Steueraufwand? Quantität ist fraglos nicht alles; so schwankt die Anzahl der Studierenden und Veröffentlichungen je Professur naturgemäß stark und ist ohnehin nicht der aussagekräftigste Maßstab für theologisches Schaffen. Aber mehr und mehr bemisst man Wissenschaft und dabei vor allem ihre öffentliche Wirkung. Eine entscheidende Frage ist damit aber noch gar nicht gestellt.

Der vorliegende Band stammt aus Osnabrück. Islamisch-theologische Arbeit begann an der dortigen Universität im Jahre 2004. Muslimische Lehrkräfte für religiös-ethische Erziehung sollten hier eine Qualifikation erhalten. Vier Jahre später wurde dann ein „Zentrum“ und weitere vier Jahre darauf ein „Institut für islamische Theologie“ gegründet. Will man wissen, wie es um die Theologie steht, sollte man fragen, ob die verschiedenen Theologien etwas miteinander anfangen können. In Osnabrück gibt es ja evangelisch-, islamisch- und katholisch-theologische Institute. Interagieren sie?

Ausgangspunkt für den zu besprechenden Band war eine Ringvorlesung im Sommersemester 2018. Die Islamische und Katholische Theologie hatten sie gemeinsam ausgerichtet. Das Thema lautete: „Sprache und Offenbarung“. Der Band heißt nun umgekehrt Offenbarung und Sprache. Als Herausgeber zeichnen die katholische Systematikerin M. Eckholt und der Inhaber der Professur für Islamische Literatur und Arabistik H. El Mallouki. Beide sind auch Mitglieder im Osnabrücker Graduiertenkolleg „Religiöse Differenzen gestalten. Pluralismusbildung in Christentum und Islam“, dem sie laut eigener Auskunft wichtige Anregungen auf dem Weg zum Buch verdanken (10). Herausgeberin und Herausgeber haben nämlich nicht einfach die Ringvorlesung dokumentiert, sondern für den Band weitere Autor*innen hinzugewonnen. So versammelt er nun 16 Beiträge aus katholischer und muslimischer Feder. Manche der christlichen Autor*innen schreiben offenkundig für ein muslimisches Publikum; sie erklären vor allem, was in der christlichen Theologie altbekannt ist. Dies aber nun verständlich islamisch-theologischen Studierenden darzulegen ist ein wichtiger Dienst. Das gilt insbesondere für Margareta Grubers Einführung in die „Exegese und Schrifthermeneutik nach dem Zweiten Vatikanum“.

Auch ein Beitrag wie der des Dichterpriesters Andreas Knapp wird für viele eine Perle sein: Gottesrede und das Schweigen scheinen hier neu ins Gespräch zu kommen. Da Offenbarung und Sprache zu verhandeln waren, legte sich für andere katholische Autoren ebenfalls das Hören auf die Dichtung der vergangenen Jahrzehnte nahe. Dann tritt zwar nicht eine Theologie in Beziehung zu einer anderen, aber sie öffnet sich alternativen Ausdrucksformen, etwa der Liturgie oder eben der Literatur und wird auf ihre Weise interaktiv; so Martin Rohner, Stephan Winter und der ehemalige KAAD-Generalsekretär Hermann Weber. Er fordert die muslimische Seite mit einem spannenden Vorschlag heraus: Man brauche dort eine weiterentwickelte „Theologie der Übersetzung“ (202). Der Vorschlag scheint denn auch prompt aufgegriffen worden zu sein: Der Osnabrücker islamische Rechtsexperte Mahmoud Haggag präsentiert die innerislamisch längst geführte Diskussion um Koranübersetzungen. Die Leser*innen dieser Zeitschrift werden mit den islamischen Denktraditionen weniger vertraut sein; daher werde ich stärker auf die diesbezüglichen Beiträge eingehen.

Hierfür wäre hinten anzufangen. Der Band enthält nämlich auch den Beitrag einer Nicht-Theologin: Die Islamwissenschaftlerin Nora Kalbarczyk, Generalsekretärin des KAAD, fasst Ergebnisse ihrer Doktorarbeit von 2017 zusammen. Sie zeigt, dass Avicenna (Ibn Sīnā, gest. 1037) drei Typen unterschied, wie ein Wort etwas bezeichnen kann. Um sein eigenes Beispiel zu verstehen, sei vorausgeschickt: Das Wort „Lebewesen“ bedeutete für ihn genau „sinnesbegabte Körper“. Demnach gibt es ein Bezeichnen (dalāla) entweder primär, per Kongruenz (muābaqa) – z. B. „Lebewesen“ meint definitionsgemäß: sinnesbegabte Körper; oder sekundär, per Inklusion (taammun) – z. B. ist in die Bezeichnung „Lebewesen“ die Sinnesbegabung eingeschlossen; und schließlich extrinsisch, per Implikation (iltizām) – wenn man z. B. nur „sinnesbegabt“ sagt, aber das Körpersein mitmeint (299).

Den islamisch-theologischen Reigen eröffnet Mohammed Nekroumi. Da sein Biogramm im einschlägigen Verzeichnis (308) kaum sichtbar ist – es wurde mit den Angaben über die vor ihm aufgeführte Autorin zusammengerückt –, sei hier erwähnt, dass er am „Department Islamisch-Religiöse Studien“ der Universität Erlangen den „Lehrstuhl für Islamisch-Religiöse Studien mit textwissenschaftlichem Schwerpunkt und Normenlehre“ innehat. Nekroumis sprechaktanalytische Korandeutung übernimmt vier von Edmund Arens jüngst unterschiedene religiöse Sprechformen, findet sie aber „als Sprechhandlungen des einen und selben Diskurs[es], nämlich des Koran“ wieder (19). Nekroumi ordnet ihnen nun vier koranische Selbstreferenzbegriffe zu, sodass sich folgendes Schema ergibt: Rede von Gott entspreche der koranischen „Eingebung“ (way), Rede vor Gott sei „Rezitation“ (qurʾān), über Gott sei balāġ („Übermittlung der Botschaft“), und das „Gedenken“ (ikr) sei Rede zu Gott. Die Zuordnung ist allerdings sehr schematisch. Ist denn eine Bitte wie „führe uns den geraden Weg“ (Sure 1,6) primär ikr, also Gottesgedenken? Rede zu Gott ist sie ja offenkundig! Und das Wort qurʾān bedeutet im Koran ja nicht nur „Rezitation“, sondern auch „(liturgische) Lesung“ und schließlich so etwas wie „Lektionar“. Nekroumi hat sich aber hier als Theologe erwiesen, der bereitwillig in christlich-islamische Interaktion eintritt: Er versucht, sich an der Anwendung sprachpragmatischer Kategorien aus einer anderen Tradition auf seine eigene Schrift.

Mitherausgeber El Mallouki zeigt anhand einer Reihe von Beispielen, wie die klassische und gegenwärtige Koranforschung mit uneindeutigen Vokabeln umgeht.

Die Koranprofessorin Nimet Şeker von der Humboldt-Universität zu Berlin unternimmt einen mit begrifflich eindrucksvollen Unterscheidungen aufwartenden Versuch. Eine bisher unterschätzte klassische Sprachtheorie bringt sie ins Gespräch mit dem Kategorien-Werkzeug eines modernen arabischen Autors. Es handelt sich um die anlässlich einer Debatte um die Unnachahmlichkeit (iʿǧāz) des Koran vorgetragenen Theorien des Iraners al-Ǧurǧānī (gest. 1078) und um die sprachphilosophischen Reflexionen des Marokkaners al-Jabri (transkribiert auch al-Ǧābirī, gest. 2010), aus dessen zuerst 1986 erschienenem Werk Bunyat al-ʿaql al-ʿarabī (=Struktur der arabischen Vernunft). Die beiden Schriften verarbeitet die Autorin jeweils anhand des arabischen Originals. Şeker zufolge habe al-Jabri einen koranischen Begriff als „Meta-Theorem“ (53) genutzt: al-bayān, d. h. „göttliche Kommunikation“, aber auch „menschliches Verstehen“. Zunächst – im frühen Islam – bedeutete bayān „Erklären“ im exegetischen Sinne, dann aber auch die strukturbildende Sinn-Rekonstruktion, wie sie systematische Theologie leistet. Şeker betont nun mit Ǧurǧānī, ursprünglich habe man vom iʿǧāz nur zur Charakterisierung bestimmter koranischer Verse gesprochen, der Stellen nämlich, an denen der Koran den Bezweiflern seines Offenbarungsstatus die „Herausforderung“ (taḥaddī) stellt, doch selbst etwas Koran-Analoges hervorzubringen. Erst in späteren interreligiösen Debatten habe sich das Verständnis von iʿǧāz zu einem apologetischen Argument gewandelt, demzufolge man aus dem Wundercharakter des Korantextes beweisen könne, dass er von Gott stammt. Dabei müsse man aber – betont sie zurecht – unterscheiden, ob mit der Einzigartigkeit des Koran seine sprachliche Form gemeint sei oder sein Inhalt.

Hamideh Mohagheghi bringt erneut die beiden wohl berühmtesten modernen iranischen Religionsdenker Mojtahed Shabestari und ʿAbdolkarim Sorush zur Sprache. Shabestari versteht den Offenbarungsvorgang nicht als Diktat, sondern als „prophetische hermeneutische Erfahrung“: Gott habe den Propheten dazu befähigt, „die Welt auszulegen“ (78). Aber meint sie wirklich, dass die prophetische Erfahrung Zeugnis für die Einheit Gottes ist, „dessen Taten das ganze Universum bewirkt“ (79), sodass also Gottes Tun vom geschöpflichen Geschehen verursacht wird? Oder wollte sie doch „… bewirken“ schreiben, dass also das Weltgeschehen aus dem Handeln Gottes kommt? Noch weiter als Shabestari geht Sorush mit seiner Sichtweise, dass die koranische Offenbarung unabgeschlossen und „der Weg des Gesandten [d. h. Muhammads] weiterzuführen [d. h. in anderen Zusammenhängen anders zu leben]“ ist (81).

Der Osnabrücker Mystikprofessor Merdan Güneş bringt Beispiele sufischer Koranauslegung, darunter auch deutlich nachklassische Stimmen, etwa den marokkanischen Meister des 18. Jahrhunderts Ibn ʿAǧība. Nun fragt sich, wie die islamische Tradition verhindert, dass sufische – nicht wörtliche – Schriftauslegung ins Beliebige abgleitet. Güneş geht darauf ein (157f.) und nennt zwei breit akzeptierte Bedingungen: Der Ausleger muss sich als regeltreuer Muslim erwiesen haben; und die Auslegung darf weder dem koranischen Wortlaut noch den islamischen Grundüberzeugungen widersprechen. Übrigens hätten spätestens die Herausgeber*innen klären sollen, dass Güneş auf einen anderen al-Ǧurǧānī verweist als Şeker und Specker im selben Band: den 1414 gestorbenen Religionsgelehrten, nicht den Sprachwissenschaftler des 11. Jahrhunderts.

Wie in vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen unserer Tage finden sich auch in einigen Beiträgen des Bandes zahlreiche formale Fehler, die die Lektüre teils bloß stören, teils aber sogar zum Ratespiel werden lassen. Nicht nur Herausgeber*innen scheinen derzeit keine Texte zu lesen, die mit ihrem Namen erscheinen, sondern auch manche Autor*innen ersparen sich offensichtlich eine gründliche Lektüre dessen, was sie selbst verfasst haben; aber zurück zur Eingangsfrage nach der Zusammenarbeit der Theologien! An manchen Stellen erweckt die Zusammenstellung von islamischen und katholischen Stimmen den Eindruck, man befolge „Paragraph eins: Jeder macht seins“. Allerdings kann auch der Blick über die Schulter anderer bei ihrer Eigenarbeit zum theologischen Weiterkommen anregen. Und gelegentlich zeigt der Band, dass die Autor*innen voneinander lernen, einander befragen, miteinander arbeiten – also Theologie interaktiv betreiben, so bei Nekroumi (19), Weber (202), und für Tobias Specker (PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M.). Er macht sich zum Dritten im Bunde eines von ihm inszenierten Gesprächs zwischen Eberhard Jüngel (Wort-Gottes-Theologie aus einer Fundamentaltheorie von Sprachlichkeit und Metaphorik) und Ǧurǧānī (sprachpragmatische Erschließung des poetischen Koran). Speckers Ausgangspunkt ist Navid Kermanis ebenfalls auf dem iranischen Klassiker basierende Betonung, dass man Dichtung nicht verlustfrei in Aussagensprache übersetzen kann. Specker lädt zu diesem Austausch dann allerdings drei neue Stimmen ein (§ 3.1), die die Erschließung koranischer Sprachlichkeit je eigenständig weiterführen: Ahmad Milad Karimi (der Koran als nachvollziehbares geistliches Ereignis), Ömer Özsoy (als Interaktion zwischen Gott und entstehender Gemeinde) und Angelika Neuwirth (Koran als performative Welthermeneutik): Erstlingsfrüchte einer „Intertheologie“, einer lebendigen Interaktion der Religionen und Disziplinen.

Felix Körner SJ, Berlin