Editorial

„Widerständige Offenbarung“ – so hatte die katholische „Arbeitsgemeinschaft Dogmatik und Fundamentaltheologie“ ihre Jahrestagung 2023 überschrieben. Debattiert wurde u. a. das spannungsreiche Verhältnis der menschlich-interpretierenden Rede über die Offenbarung (theologische Reflexion) zu ihrem Wirklichkeitsbezug (Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus). Wenn Paul Ricœur beispielsweise darauf insistiert, dass das Wort dem Ereignis folgt, dann kann Offenbarung als eine Art kritische Instanz gegenüber allen kirchlich-dogmatischen Engführungen verstanden werden.

Das vorliegende Heft sucht genau diesen Bereich der Gott-menschlichen Interaktionen mehrdimensional zu vermessen: Dietmar Mieth (Erfurt) zeichnet das Zusammenspiel von Offenbarung und Vernunft bei Meister Eckhart nach und betont das aus diesem Miteinander resultierende praktische Transformationspotenzial des Menschen. Martina Wehrli-Johns (Zürich) stellt in der Rubrik „Dominikanische Gestalt“ die zeitgleich mit Eckhart zu datierende Predigernonne Elsbeth von Oye und die ihr fälschlich zugeschriebenen „Offenbarungen an eine Klosterfrau“ vor. Im Blick auf den Islam verweist Hamideh Mohagheghi (Hannover) einerseits auf die Unnachahmlichkeit und Einzigartigkeit des Korans; andererseits betont sie aber auch dessen Redaktionsgeschichte, die damit des exegetischen Zugriffs bedarf. Im Kontext weltanschaulich pluraler Gesellschaften plädiert Benedikt Schmidt (Berlin) dafür, religiös konnotierte Ethiken gemäß einer komplexen kommunikationstheoretisch konzipierten Logik der Interferenz zu organisieren. Dabei bezieht er sich an zentraler Stelle auf Max Seckler, an dessen Diskussion zum Verhältnis von kirchlichem und theologischem Lehramt René Dausner (Hildesheim) in der Rubrik „Wiedergelesen“ erinnert. Unter religionspädagogischen Gesichtspunkten schlägt Christian Uhrig (Münster) einen in der Lebenswelt von Schüler*innen verankerten Verstehensansatz vor, bei dem es darum geht, Gottes Zeichen im Alltag wahrnehmen und deuten zu lernen. Ein ähnliches, inkarnationstheologisch ausgerichtetes Vorgehen rekonstruiert Ulrich Engel OP (Berlin) im Rahmen seiner Relektüre von Pier Paolo Pasolinis Roman- und Filmprojekt „Teorema“. Dabei wird deutlich: Offenbarungserfahrungen können Menschen überwältigen. Im „Stichwort“ geht Engel den destruktiven Folgen solcher Erfahrungen nach und fordert, auch die offenbarungstheologischen Gründe des kirchlichen Missbrauchs kritisch anzuschauen.

Wir hoffen, dass die Texte dieses Heftes das widerständige Potenzial von Offenbarung verdeutlichen können.

Ulrich Engel OP/Dennis Halft OP