Parrhesia | Wahr(heit) sprechen (3/2018)
Engel, Ulrich
In den ersten hundert Tagen seiner Präsidentschaft habe Donald Trump, so die Recherche der „Washington Post“ (Online-Ausgabe v. 1.5.2017), exakt 492 Mal falsche oder irreführende Aussagen in die Welt gesetzt; nur an zehn dieser hundert Tage habe der US-Präsident keine solchen „false or misleading claims“ von sich gegeben. Nun ist in der Politik das Lügen nicht unbedingt etwas Neues, doch Ausmaß und Unverfrorenheit, mit der Trump dies tut, erschüttern nicht wenige Menschen. Dies gilt umso mehr, als dass das Wahrsprechen seit der Antike als unabdingbare Voraussetzung allen guten (demokratischen) Regierens gilt. Michel Foucault (1926–1984), der in diesem „Wort und Antwort“-Heft verschiedentlich zitiert wird, definierte Selbstsorge und freimütiges Sprechen (griech.: Parrhesia) als die zwei zentralen Bedingungen jedweder Gouvernementalität.
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Stichwort
Eggensperger, Thomas
Zu Beginn steht die ewige Frage nach der Wahrheit. Paradigmatisch dafür ist die Wahrheitsfrage im Evangelium: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.“ (Joh 18, 37) Diese Worte Jesu vor Pilatus scheinen letzteren zu irritieren: „Was ist Wahrheit?“ (Joh, 18, 38), so fragte er Jesus zurück. Es ist leider reine Spekulation, herauszufinden, wie Pilatus diese Frage gestellt hat – vielleicht war sie interessiert bzw. neugierig formuliert, vielleicht aber auch sarkastisch bzw. hämisch. Es ist nicht überliefert, ob Pilatus einen nachdenklichen Charakter hatte oder nihilistisch durch’s Leben ging. Aber was bleibt, dass ist der biblische Rekurs auf sein Ringen nach der Wahrheit.
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Lanfermann, Agnes
Lügen, ein vermeintlich einträgliches Geschäft im Alltag! Jede und jeder hat schon mal gelogen, eine kleine Notlüge hier, eine andere dort, um einer Peinlichkeit zu entgehen oder eine unangenehme Reaktion zu vermeiden. Auch wollen wir nicht verletzen, so sagen wir nicht immer, was wir wirklich denken, dass er oder sie sich in den Vordergrund drängt und dass es uns ärgert.
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Brncic, Jadranka
Die wortgetreue Übersetzung für Parrhesia lautet „über alles sprechen“. Im Deutschen entspricht es der Freimütigkeit und im Englischen dem free speech, geläufig sind ferner die Übersetzungen „offenes Sprechen“ (eng. open speech, ital. discorso aperto) und ehrliches Sprechen (fr. franc-parler). Parrhesiazomai heißt die Parrhesia anwenden, während parrhesiastes (Parrhesiast) eine Parrhesia-sprechende Person bezeichnet, also eine Person, die wahrhaftig spricht.
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Senn, Isabelle
Die Freimütigkeit, mit der im öffentlichen Sprechen der Kirche – namentlich in der Predigt – die Frohbotschaft Jesu Christi verkündigt und das Evangelium ausgelegt wird, sorgt in regelmäßigen Abständen für mediale Aufmerksamkeit. „Alle Jahre wieder“ schlagen die Wellen hoch, und es wird heftig und kontrovers diskutiert: Zu welchen Themen darf der Prediger, die Predigerin sich auf der Kanzel (nicht) äußern? Und wo werden die Grenzen dessen überschritten, was das Evangelium den Gläubigen im Kontext einer aufgeklärten Öffentlichkeit als froh machende und handlungsweisende Botschaft zu sagen hat? Gerade an hohen kirchlichen Festtagen werden hierzulande (noch) zahlreiche Menschen mit dem Evangelium und dessen Auslegung erreicht. Und so erstaunt es nicht, dass sich an verschiedenen(!) Weihnachtspredigten des vergangenen Jahres die letzten großen öffentlichen Kontroversen darüber entzündet haben, wie freimütig kirchlicherseits über Gott und (vor allem) über die Welt gesprochen werden darf. Konkret wurde zwischen Weihnachten und Silvester 2017 und noch bis ins Jahr 2018 hinein darüber gestritten, wie politisch eine Predigt sein darf und wo die Kirche ihre Kompetenz übersteigt, indem sie sich etwa gezielt in parteipolitische Diskussionen einmischt.
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Collet, Jan Niklas
Spätestens seit 2015 ist die Neue Rechte auch in Deutschland zu einer starken politischen Kraft angewachsen. Ein zentraler Bestandteil der neurechten Ideologie ist ein massiver Antielitarismus, d. h. Feindschaft gegenüber einer angeblich korrumpierten gesellschaftlichen Elite, der sich etwa in Beschimpfungen politischer und medialer Eliten als „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ manifestiert. Vertrauen in deren Wort und Tat scheint einem Teil der deutschen Bevölkerung abhandengekommen zu sein. Im Folgenden wird der Versuch zu einem tieferen Verständnis dieser Vertrauenskrise unternommen und abschließend einige Thesen zu einem theologischen Umgang mit ihr vorgeschlagen.
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Dominikanische Gestalt
Moormann, Judith
Anatol Feid wurde 1942 in Wormditt/Ostpreußen geboren. 1945 flüchtete seine Familie nach Leipzig, wo er die Grundschule Markkleeberg-West besuchte. 1956 folgte die Übersiedlung in die Bundesrepublik. Nach dem Abitur in Diepholz/Niedersachsen trat er in den Dominikanerorden ein. Im Anschluss an das Noviziat folgten ab 1964 die obligatorischen Studien der Philosophie und Theologie in Walberberg bei Bonn. 1969 wurde er zum Priester geweiht. Nach kürzeren Engagements in verschiedenen Pfarreien und als Religionslehrer war er von 1971 bis 1975 Mitglied des Leitungsteams der außerschulischen Bildungsstätte „Jugendakademie Walberberg“.
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Wiedergelesen
Schavan, Annette
„Am Anfang der Gewaltherrschaft hatte der abgrundtiefe Hass Hitlers gegen unsere jüdischen Mitmenschen gestanden. Hitler hatte ihn nie vor der Öffentlichkeit verschwiegen, sondern das ganze Volk zum Werkzeug dieses Hasses gemacht. Noch am Tag vor seinem Ende am 30. April 1945 hatte er sein sogenanntes Testament mit den Worten abgeschlossen: „Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“
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