Dennis Halft / Carolin Neuber / Klaus Vellguth (Hrsg.), Schöpfung für das Leben. Schöpfungsspiritualitäten in Deutschland (Edition Schöpfung Bd. 4), Matthias Grünewald Verlag Ostfildern 2024, 338 S., € 45,–.

Das Buch kommt als vierter Band einer Reihe, die von K. Vellguth, Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät Trier, verantwortet wird. Das ist wichtig, weil manche Themen, die man im Zusammenhang von Religion und Umwelt erwarten mag, in den anderen drei Bänden vorkommen.

So finden sich protestantische Perspektiven schon in Band 3 der „Edition Schöpfung“, „Mit der Schöpfung Leben atmen: afrikanische Schöpfungsspiritualitäten im Dialog“ (2021), vor allem der Beitrag, „Reformierte Theologie im Dialog mit der Schöpfungsspiritualität im Kontext des religiösen Pluralismus in Afrika“. Dort gibt es den Artikel „Architektur und Potenziale der Enzyklika Laudato si‘“. Zudem enthält dieser Band bereits drei Artikel über Schöpfung im Islam. Band 1 der „Edition Schöpfung“, „Wir sind nur Gast auf Erden : lateinamerikanische Schöpfungsspiritualität im Dialog“ (2019), enthält drei Artikel über jüdische Perspektiven, nämlich „Ökologie und Judentum: Eine neue Auffassung von ‚koscher‘“, „Jüdische Spiritualität und Schöpfung. Aktuelle Bedeutung“, sowie „Jüdische Ethik und Schöpfung: Aktuelle Herausforderungen“. Christlicherseits enthält dieser Band sechs Beiträge zur Enzyklika „Laudato si‘“ sowie noch zusätzlich zwei Artikel unter der Überschrift „Laudato si‘ konkret“. Band 2 der „Edition Schöpfung“, „In der Schöpfung Heimat finden : asiatische Schöpfungsspiritualitäten im Dialog“ (2020), bringt hinduistische und buddhistische Perspektiven sowie wieder islamische Perspektiven, nämlich „Der Schöpfungsmythos aus islamischer Sicht“, „Die Spiritualität der Schöpfung im Islam“, und „Schöpfungsethik aus einer islamischen Perspektive“. Aus christlichem Blickwinkel aus findet man dort einen alttestamentlichen Beitrag, „Die Bedeutung der biblischen Schöpfungserzählungen für die gegenwärtige Ökologiebewegung“, allgemeine Aussagen über „Schöpfungsspiritualität: Eine christliche Perspektive“, sowie hermeneutische Erwägungen, „Von Umweltgerechtigkeit zu ökologischer Gerechtigkeit: Auf dem Weg zu einer ökologischen Hermeneutik“, und fünf Artikel über die Enzyklika „Laudato si‘“.

Erst im Blick auf diese Vorgängerbände wird klar, was Vellguth zusammen mit dem hier zu besprechenden Band 4 der „Edition Schöpfung“ vorlegt, nämlich auf Deutsch etwas Ähnliches, was man in den englischen Sammelbänden „The Oxford Handbook of Religion and Ecology“, hrsg. von Roger S. Gottlieb, oder „The Wiley Blackwell Companion to Religion and Ecology“, hrsg. von John Hart, sowie „The Cambridge Companion to Literature and Climate“, hrsg. von Adeline Johns-Putra und Kelly Sultzbach, findet. „The Cambridge Companion“ enthält Artikel über „Indigenous and Black Feminist Knowledge-Production: Speculative Science Stories, and Climate Change Literature“ und „Climate Change and Indigenous Sovereignty in Pacific Islanders’ Writing“, die unter dem Gesichtspunkt der Literaturproduktion auf indigene Stimmen zur ökologischen Krise hören, wie es die Bände 1 bis 3 der „Edition Schöpfung“ unter dem Blickwinkel der Spiritualität tun. Im Zusammenhang mit den drei Beiträgen aus agnostischer Sicht am Ende des zu besprechenden Bandes 4 mag man auch den „Cambridge Companion to Environmental Humanities“, hrsg. von Jeffrey Jerome Cohen und Stephanie Foote, berücksichtigen sowie den „Cambridge Companion to Literature and the Anthropocene“, hrsg. von John Parham, ganz allgemein auch „A Political Theology of Nature. Cambridge Studies in Christian Doctrine“, hrsg. von Peter Scott. Ebenso wie das „Oxford Handbook“ und der „Wiley Blackwell Companion“ gliedert sich „Edition Schöpfung“ 4 in Abschnitte, die verschiedenen Religionen gewidmet sind. Zwei hochinteressante Beiträge widmen sich dem Judentum, „Schöpfung, Mensch und Umwelt im Judentum“, von Alexander A. Dubrau und „Jüdische Perspektiven auf die Schöpfung“ von Jehoschua Ahrens. Dubrau behandelt Vegetarismus, Sabbatjahr mit Ackerbrache und Schuldenerlass, Jobeljahr und Sabbat sowie Tierwohl. Von ihm erfährt man, dass die Erschaffung im Ebenbild Gottes für den Geschaffenen keine Höherstellung an sich mitbringt, sondern eine Aufgabenstellung zur moralischen Vervollkommnung. Der Mensch muss sich in die Ebenbildlichkeit Gottes hinein entwickeln, nur dann kommt ihm eine Herrschaft über die Tiere zu. Der Rabbiner Abraham Isaak Kook (1865–1935), der ab 1921 als aschkenasischer Oberrabbiner Palästinas wirkte, stand dem Vegetarismus distanziert gegenüber. Seine Ansicht, Fleischverzehr wirke sublimierend, ein Verzicht berge Gefahr, erinnert an die These von René Girard (1923–2015), dass Tötung oder Opferung das Ausbreiten der Gewalt verhindere oder steuere. Zum Tierwohl schreibt Dubrau: „Gleichzeitig führt die biblische und rabbinische Überlieferung Tiere als moralischer Akteure mit eigenem Recht ein. Das Verbot, Tieren Schmerz zu bereiten, diese zu quälen oder zu vernachlässigen, steht damit in einem Verhältnis der Weisungen der Torah zum Verhalten des Menschen zum Mitmenschen“ (45 f.).

Ahrens geht die auch im Christentum viel diskutierten Kapitel eins bis neun der Genesis durch und schreibt Schöpfung aus dem Nichts und Freiheit Gottes, Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes, den Auftrag, Leben zu schützen und zu schaffen, Missbrauch der Freiheit und Wunsch nach Wissen, wonach die Geschichten von Adam und Eva und auch von Kain und Abel vor allem Metaphern für den Charakter des Menschen und seine Unabhängigkeit von Gott sind, sowie den Bund mit Noach und allen Menschen. Besonders wertvoll sind die Fußnoten mit online abrufbaren Quellenverweisen. Dagegen beschränkt sich der dritte Artikel, „Der grüne und wilde Sabbat – in der Moderne und gegen sie“, von Jonathan Schorsch weitgehend auf eine Kulturgeschichte des Spaziergangs am Sabbat und am Sonntag sowie Exkursionen in die Wildnis.

Die Beiträge des Buches wählen ganz unterschiedliche Schwerpunkte aus diesem Spektrum, so dass die Relevanz der Ausführungen für die zeitgenössischen ökologischen Krisenszenarien nicht immer deutlich wird.

Der christliche Teil des Buches folgt der Dreiteilung Altes Testament – Neues Testament und Dogmatik – Ethik. Carolin Neuber, Professorin für Exegese des Alten Testaments in Trier, beleuchtet alttestamentliche Schöpfungsnarrative aus christlicher, deutschsprachiger Perspektive und präsentiert die theologische Diskussion zu Kapitel 1–9 der Genesis, weitet dann aber den Blick auf andere Abschnitte im AT und NT.

Margit Eckholt, Professorin für Dogmatik mit Fundamentaltheologie in Osnabrück, unterscheidet zwischen Schöpfungstheologie und Schöpfungsspiritualität und stellt sie in die Zeiten der „Großen Transformation“, d.h. dem Umbau globaler wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse, aber ebenso dem Wandel des persönlichen Lebensstils, wenn Leben auf dem Planeten Zukunft haben soll. Mit der „Unterbrechung“, die mit dem Sabbat und Sonntag verbunden ist und ein Sich-Überschreiten, Transformation und „ökologische Umkehr“ bedeutet, entsteht eine Brücke zum Sabbat in den Artikeln über das Judentum. Dem Thema Schöpfungsgerechtigkeit widmet sich der Professor für Christliche Sozialethik in München, Markus Vogt. Er beginnt mit der Pluralität christlicher Perspektiven und erwähnt eine Kontroverse über die Schöpfungsethik im Protestantismus sowie das Engagement im Weltrat der Kirchen für die Nachhaltigkeit. Dann stellt er den katholischen Zugang zur Schöpfungsgerechtigkeit in den Vordergrund und präsentiert abschließend Konsequenzen für die Konzeption christlicher Umweltethik.

Die drei Beiträge zu islamischen Perspektiven widmen sich Konzeptionen der Schöpfung als göttliche Qualifikation und der Stellung des Menschen. Dabei geht der Artikel von Abdel-Hafiez Massud, „Reueannahme und Barmherzigkeit als Gottes- und Menschenattribute: Die Schöpfungsgeschichte Adams und deren religionsdidaktischer Transfer“, der Frage nach, wie diese Konzeptionen im islamischen Religionsunterricht vermittelbar sind.

Jobst Meyer ist Zoologe und Professor für Verhaltensbezogene Genetik an der Universität Trier. Es stellt die Frage, aus welcher ethisch, philosophisch und erkenntnistheoretisch legitimierten Position heraus die Schöpfung zu bewahren wäre.

Philosophisch wird es in den letzten beiden Artikeln. „Gerechtigkeit ohne Schöpfung: Eine humanistische Perspektive mit Corine Pelluchon“, von Ralf Schöppner, Professor für Theorie und Geschichte des Humanismus an der Humanistischen Hochschule Berlin, stellt die französische Philosophin Pelluchon (geb. 1967) vor. Sie plädiert für eine Erneuerung des Humanismus und zielt auf die stärkere Berücksichtigung der Interessen anderer Lebewesen und zukünftiger Generationen sowie der natürlichen Lebensbedingungen ab. Bestechend ist ihre Ethik der Wertschätzung als praktische Seinsweise. Holm Tetens, emeritierter Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Wissenschaftstheorie und Logik, rundet das lesenswerte Buch mit seinem Artikel „Anmerkungen zur Schöpfungstheologie aus agnostischer Sicht“, ab, der in Überlegungen zum Beitrag der Agnostiker zum ökologischen Diskurs gipfelt.

Hans Ulrich Steymans OP, Wien