Bertil Langenohl (Hrsg.). Zur Gegenwart des kommenden Gottes. Anstöße aus der Erfahrung suchenden Theologie von Tiemo Rainer Peters, Matthias Grünewald Verlag Ostfildern 2024, 521 S., € 58,–.

Tiemo Rainer Peters (1938–1917) war Theologe, Priester und Angehöriger des Dominikanerordens (der ihn mit dem Titel „Magister in Sacra Theologia“ ausgezeichnet hat). Fast 25 Jahre lang war er an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster als Akademischer Rat für Systematische Theologie tätig. Die Teilnahme an seinen Lehrveranstaltungen hat bei vielen Studierenden eine nachhaltige Prägung hinterlassen, lernten sie doch von ihm eine Theologie, deren Denken von Gott mit Blick auf Mensch und Welt, Geschichte und Gesellschaft „geerdet“ ist. Peters verdankte diesen seinen eigenständigen theologischen Ansatz über seine Bibellektüre hinaus seiner intensiven Beschäftigung mit der Theologie von Dietrich Bonhoeffer einerseits und dem unmittelbaren Mitverfolgen-Können der Entwicklung der (Neuen) Politischen Theologie von Johann Baptist Metz. Beide Stränge vermochte er auf originelle Weise miteinander zu verbinden.

Aus der Arbeit von Peters mit den Studierenden ist das „Kolloquium Politische Theologie“ hervorgegangen, in dem sowohl zu seinen Lebzeiten mit ihm zusammen, als auch nach seinem Tod auf ihn aufbauend, seine Theologe nicht nur weitergedacht, sondern auch existentiell verarbeitet wurde und wird – im Sinne von Peters’ Postulat des Zusammenhangs von (politischer) Theologie und Biographie. Aus der Überzeugung heraus, dass dieser theologische Ansatz weiterhin auf der Höhe der Zeit ist, verbunden mit der Einsicht, dass manche seiner Theoreme (allen voran der Erfahrungsbegriff) eine vertiefende Revision benötigen, ist das vorliegende Buchprojekt entstanden, das nunmehr mit einem beachtlichen Umfang vorliegt

Eingeteilt ist das Buch in sechs thematische Blöcke. Der erste Block „Theologie als Biographie“ beginnt mit einem ausführlichen Beitrag des Herausgebers B. Langenohl zur Theologie von Tiemo Rainer Peters. Er charakterisiert sie als eigenständigen Ansatz politischer Theologie in Gefolge seines Freundes und Lehrers Johann Baptist Metz und in Auseinandersetzung mit ihr. Besonders kennzeichnend für Peters’ Theologe sei ihr Erfahrungsbezug. Langenohl knüpft – durchgängig im Gespräch mit Peters’ Schriften – daran an und entwickelt sie auf der Basis der Kategorie „Aufmerksamkeit“ systematisch zu einer „aisthetischen Theologie“ weiter. Mit Blick auf die theologischen Ansätze von Karl Rahner, Johann Baptist Metz und Tiemo Rainer Peters prüft Michael Strodt, ob und inwieweit der Verweis auf Erfahrung(en) für den theologischen Diskurs weiterführend ist. Ulrich Engel OP nimmt die Theologie seines Ordensbruders Peters zum Anlass, sie in der Tradition des Dominikanerordens zu verorten. Nach Kuno Füssel bildet die Suche nach dem lebendigen Gott (mit dessen Spannung zwischen Zuverlässigkeit und Unverfügbarkeit) die Mitte der Theologie von Peters, die für ihn zugleich seine existenzielle Basis ausmacht. Ottmar Johns Beitrag arbeitet, inspiriert von Peters, die theologische Deutung des Todes für die menschliche Existenz heraus. Reyes Mate rekonstruiert mit Hinweis auf die Zeitbestimmungen u. a. von Franz Rosenzweig und Emmanuel Lévinas die Bedeutung von Peters’ Theologumenon „Gott ist Zeit“. Daniel Barreto greift Peters’ Rede von der „Begabung zum Jetzt“ auf und interpretiert sie im Anschluss an Franz Rosenzweig als sensible Wachheit für die Zeichen der Zeit. Thilo Rissing geht anhand eines Beispiels der Kunstauffassung von Peters nach, im Verworfenen Kostbares zu erblicken.

Dem Block „Biographische Theologie im biblischen Kontext“ sind zwei Beiträge zugeordnet, die unter Verweis auf ausgewählte biblische Texte Impulse für eine erfahrungsbezogene Theologie zu geben vermögen: Paul-Gerhard Klumbies verweist angesichts des Verlusts der Einheit der Welt als heilvolle Alternative auf die Einheit, die für das Johannesevangelium die theologische Grundlage bildet: die Einheit von Vater und Sohn (Joh 10,30). Paulina Pieper zeigt, angeregt von Michel de Certeau, anhand von biblischen Figuren auf, wie gerade beim Reisen die Erfahrung von Gottesnähe aufkommen kann.

Der nächste Block steht unter dem Titel „Praktisch-theologische Perspektiven“. Jürgen Kroth eröffnet ihn, indem er sich auf die Spur von Peters’ Suche nach dem Ort der Theologie, nach den grundlegenden Praxisformen und nach den Subjekten dieser Praxis begibt und die dabei gewonnenen Einsichten für die Grundlegung der Pastoraltheologie fruchtbar werden lässt. Johannes Sabel zieht aus der Theologie Peters‘ grundlegende Impulse für die Religions-
(päd)agogik, die verhelfen, begründen und darlegen zu können (auch unter Verweis auf die Pädagogik Helmut Peukerts), dass Bildung nicht zuletzt mit einer Bezugnahme auf den transzendenten Gott zu tun hat und was das praktisch bedeutet. Thomas Polednitschek legt auf seine langjährige Philosophische Praxis rückblickend den für Peters zentralen Begriff der Erfahrung konkret als Existenzmitteilung aus. Bernd Lohne berichtet von seinen spirituellen Erfahrungen als Pilgernder und als seelsorgerlicher Begleiter von Pilgernden. In zwei Beiträgen wirbt P. Pieper dafür, den Zusammenhang von Theologie und Biographie in dafür konzipierten theologischen Forschungsprojekten intensiver nachzugehen (wofür es bereits mehr Projekte gibt, als sie anführt).

„Jesus Christus – Biographie der Tora? Eine jüdisch-christliche Debatte“ ist der weitere Block überschrieben. Als erster kommt Tiemo Rainer Peters OP (†) selbst zu Wort mit einer gekürzten Fassung seines Beitrags „Wer ist Christus heute“. Die zentrale These darin lautet: „Die Tora gehört zu Jesus Christus. Aber Christus gehört auch der Tora, er ist ihr personifizierter Kommentar, die Basis, von der her er selbst interpretiert werden muss.“ (340) Diese wesentlich von Peters angestoßene Christologie nach Auschwitz greifen die drei folgenden Beiträge von Hans Hermann Henrix, David M. Neuhaus SJ und Walter Homolka auf und bekräftigen sie mit jeweils eigenen Akzentuierungen.

Dem Block „Erfahrung und ihre Kritik zwischen Theologie und Philosophie“ sind drei Beiträge zugeordnet. In ihnen stehen jeweils der Erfahrungsbegriff und seine Bedeutung für die Theologie im Mittelpunkt. Knut Wenzel hat sich von dem Theorem Karl Rahners „Der Fromme von morgen wird Mystiker sein, oder er wird nicht sein“ anregen lassen, ihn auf die ihm zugrundeliegenden philosophischen Annahmen hin zu untersuchen und auszulegen. José A. Zamora erörtert unter Bezugnahme auf Theodor W. Adorno „Schwierigkeiten mit der Erfahrung“, die sich angesichts des durch den Kapitalismus verursachten beschädigten Lebens auftun. O. John arbeitet mit Rückgriff auf Peters und Walter Benjamin heraus, wie eine Zusammenschau von Erfahrung und Erinnerung zu einer weiterführenden Klärung beider Begriffe und deren praktischen Implikationen verhilft.

Der letzte Block ist „Theologische Biographien zwischen Israel und Deutschland“ überschrieben. D M. Neuhaus SJ, Burghard Schunkert, Georg Rößler und Anja Werner geben jeweils authentische Einblicke auf die bisherigen Verläufe ihres jeweils religiös bzw. spirituell grundierten Lebens.

Insgesamt dokumentieren die Beiträge dieses Buches bei aller Vielfalt ihrer inhaltlichen Schwerpunkte eine Art des Theologie-Treibens, das mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart „geerdet“ ist. Die Lektüre einiger Beiträge setzt dafür die Bereitschaft zu einer Anstrengung des Begriffs heraus. Dass jedoch gerade so die Gottrede bei Menschen von heute Aufmerksamkeit zu gewinnen vermag, dafür hat Tiemo Rainer Peters eine – wie dieses Buch belegt – zwar anspruchsvolle, aber durch und durch überzeugende und anregende Vorlage gegeben.

Norbert Mette, Dortmund