Ellen Geiser, Wer zählt? Praktisch-theologische Fährten zwischen Neuer Politischer Theologie und Judith Butler (Religionswissenschaft Bd. 40), Transcript Verlag Bielefeld 2024, 264 S., € 47,–.

Das hier anzuzeigende Buch geht aus der von Jörg Seip begleiteten und mit dem Pax-Bank-Förderpreis 2022/23 ausgezeichneten pastoraltheologischen Dissertationsschrift hervor, die E. Geiser 2023 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität in Bonn eingereicht hat. Dort ist Geiser heute Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „TRANSARA. Sakralraumtransformation“.

Ausgehend von der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils versteht die Verfasserin mit dem Grazer Emeritus Rainer Bucher Pastoral „als die kreative Konfrontation von Evangelium und Existenz in Wort und Tat, im individuellen wie gesellschaftlichen Wertbereich.“ (R. Bucher, Wie leben im hegemonialen Kapitalismus?, in: WuA 54 [2013], 149–155, hier 154.) Praktische Theologie kann in dieser Perspektive als politische Theologie ausbuchstabiert und durchgeführt werden – et vice versa. Vor diesem Hintergrund unternimmt Geiser eine vergleichende Re-Lektüre der neuen Politischen Theologie von Johann Baptist Metz (1928–2019) und dem feministisch-queeren Theorieansatz Judith Butlers (* 1956). Die Perspektive der Dissertation zielt dabei auf eine erneuerte Praktische Theologie in der Spätmoderne.

Die Untersuchung ist in drei Hauptkapitel gegliedert. Teil I stellt die Denkbewegungen der beiden Protagonisten in ihren grundlegenden Linien vor (35–59). Der ob seines Umfangs und Inhalts gewichtige Teil II (61–206) versammelt „sieben unterschiedliche Fährten zwischen den Ansätzen von Metz und Butler“ (61). Hinsichtlich der Kategorien Anerkennung, Subjekt, Prekarität, Sprache, Verantwortung, kulturelle Verortung und Veränderung arbeitet Geiser Differenzen und Gemeinsamkeiten der Theorien heraus. Für den Begriff der Anerkennung – um nur ein Beispiel herauszugreifen – kann Geiser zeigen, dass der Theologe und die Philosophin mit unterschiedlichen Verständnissen arbeiten. Während Metz Anerkennung vor allem im sozial-politischen Bereich als rezeptiven Akt wertschätzt, denkt Butler Anerkennung eher als produktiven Prozess. Solch unterschiedliche Verständnisse des Anerkennungsbegriffs zeitigen Konsequenzen für die theoretische Konstituierung des Subjekts und seines Erkenntnisvermögens. Während Metz eine Differenz „zwischen machtvollen und machtfreien Formen des Erkennens“ (76) in sein Denken einzieht, bestreitet Butler vehement, dass Erkennen überhaupt „außerhalb von Machtverhältnissen“ (ebd.) statthaben kann.

Im finalen Teil III (207–239) fragt Geiser nach den Erträgen ihrer komparatistischen Untersuchung für die Praktische Theologie. Anhand der buchtitelgebenden Frage „Wer zählt?“ (z. B. im Sinne von „Black lives matter“; 211) eröffnen die abschließenden drei Abschnitte 1. assoziative („Statt Wahrheit als Münze zu zählen, wird sie also er-zählt“; 213), 2. diskursive (bspw. im Modus der „epistemologischen Verunsicherung“; 221) und 3. performative Räume (im Sinne „einer konstitutiven Relationalität, Sozialität und Interdependenz des Lebens“; 231), die helfen mögen, die politisch-theologische Frage „Wer zählt?“ als Unterbrechung (pastoral) offenzuhalten.

Eine kompakte Einleitung zur Methodologie und wissenschaftstheoretischen Verortung der Untersuchung (15–33) sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis (243–264) ergänzen das für eine Doktorarbeit oftmals unkonventionell – weil nicht nur diskursiv, sondern auch poetisch-assoziativ – formulierte und deshalb über weite Strecken spannend zu lesende Buch.

Ulrich Engel OP, Berlin