Bücher
Claudio Ettl/Gerhard Hotze/Gudrun Nassauer/Christian Uhrig (Hrsg.), Eigenmächtig ausgelegt oder vom Geist getragen? Geistliche Schriftauslegung – Versuch einer Standortbestimmung (Sensus Plenior. Studien zur Geistlichen Schriftauslegung Bd. 1), Echter Verlag Würzburg 2023, 270 S., € 24,90.
Die lange Tradition der geistlichen Schriftauslegung ist spätestens mit dem Einzug der historisch-kritischen Methode in die Bibelexegese zum Erliegen gekommen. Der hier angezeigte Sammelband sucht diese Entwicklung zu korrigieren – nicht in Absetzung von oder gar in Ablehnung der historischen Kritik, sondern in der Suche nach einer neuen, intersektionalen Verhältnisbestimmungen beider Angehensweisen. Mit diesem Ziel dokumentieren die zehn Beiträge des Buches den Verlauf eines internationalen wissenschaftlichen Symposiums aus dem Jahr 2022. Vorbereitet und ausgerichtet von einer in Münster (Philosophisch-Theologische Hochschule), Freiburg/Schweiz (Universität) und Nürnberg (Caritas-Pirckheimer-Haus) angesiedelten Forschungsgruppe, befasste sich die Tagung sowohl mit hermeneutischen Perspektiven auf die Geist-getragene Schriftauslegung als auch mit deren historischen Ausprägungen. Die beiden Zugriffe strukturieren denn auch den Sammelband in seine zwei Hauptteile. Ein „Poetischer Epilog“ (237–256) aus der Feder des Dichters und Kleinen Bruders Andreas Knapp (Leipzig) ergänzt die wissenschaftlichen Reflexionen. Ein dreifaches Bibelstellen-, Namens- und Sachregister hilft bei der Erschließung des Inhalts ungemein.
G. Nassauer (Fribourg) untersucht in Ihrem Aufsatz im Anschluss an das buchtitelgebende Zitat aus 1 Petr 1,20f. die hermeneutisch grundlegende Frage nach der Relation zwischen der Subjektivität einer Leseerfahrung („[e]igenmächtig“; 23) und der an gläubige Intention und theologisch-kirchliche Tradition gebundene Interpretation („[v]om Geist getragen“; 37). Johanna Rahner (Tübingen) plädiert in diesem Zusammenhang für eine „Schriftkultur der Ambiguität“ (71), die zugleich jedoch „unterm Bilderverbot“ (82) stehend um ihr Nicht-Wissen weiß. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Ch. Uhrig (Münster), wenn er – seine patristischen Untersuchungen zu Origenes für heute weiterdenkend – vor „[a]podiktische[n] Fixierungen auf die oder eine einzige wahre Auslegung“ (166) warnt. Wie solche, die Pluralität der Verstehenszugänge würdigende Bibelauslegungen aussehen können, zeigen in historisch-aktualisierenden Texten Justina Metzdorf OSB (Mariendonk) für die benediktinische, Paul Zahner OFM (Heiligenkreuz) für die franziskanische, Inga Kramp CJ (Fulda) für die ignatianische und Peter Zimmerling (Leipzig) für die reformatorische Tradition.
Dem Sammelband, der den Auftakt der neuen Reihe „Sensus Plenior“ (dt. „vollerer Sinn“ oder „vollere Bedeutung“) bildet, seien viele an der Geistlichen Schriftauslegung und ihren theoretischen Hintergründen interessierte Leser:innen gewünscht.