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Elmar Salmann (Hrsg.), Die Regel Benedikts als fremder Gast. Vier Lesarten, EOS Verlag Sankt Ottilien 2023, 256 S., € 24,95.

Das überaus pfiffige Design des Einbandes bringt den Inhalt der gut 250 Seiten auf den markanten Punkt. Vier unterschiedliche Brillentypen als Metaphern für die je eigene Lesart einer altwürdigen Mönchsregel verheißen Eigenwilligkeit und individuelle Interpretation dessen, was Tag für Tag und daher mehrfach im Jahr (vgl. 7), den Schwestern und Brüdern des Benediktinerordens als Lektüre angeboten, oder man darf so kühn formulieren, auch zugemutet wird. Das eigenwillige Projekt bekommt einen zusätzlichen Anreiz, da der Titel zunächst brechend zur allgemein üblichen Assoziation einer monastischen Vertrautheit mit dem Eigenen mit „Die Regel Benedikts als fremder Gast“ neugierig auf das Angebotene macht. Die vier sich Wagenden in die Fremdheit der Regel sind dabei alles andere als unsichere Neulinge in der benediktinischen Landschaft. Raphaela Brüggenthies OSB und ihre drei männlichen Co-Autoren Marcel Albert OSB, Elmar Salmann OSB und Beda Maria Sonnenberg OSB kennen durch große Verantwortung in den je eigenen Klostermauern Freude und Hoffnung, vielleicht auch Last und Not mit der starken Vorgabe des hl. Benedikt, und genau diese Spektralfarben merkt man den autonomen Kurzkommentaren zu einem jeweiligen Abschnitt der Regel auch mit großer Freude an. Ordentlich aufgebaut, wie es sich für Mitglieder uralter monastischer Tradition gehört, wurde die ganze Regel unter den vier Schreibenden in gerechter Verteilung zugemutet, und dabei die Formstrenge sehr lesefreundlich umgesetzt. Auf der linken Seite jeweils der Abschnitt der Regel, und rechter Hand dann die Kür der Aneignung, die modernes Individuum und den Klang alter Worte in einen spannenden Dialog bringen. Ein genaues Hinschauen ist dem Lesenden abverlangt, wenn z. B. die Novizinnenmeisterin und Priorin der Abtei St. Hildegard beim Demutskommentar sehr kunstfertig einen scheinbaren Protest an dem Abschnitt der Regel durch eine ungewohnte Leseeinladung wieder in eine neue Denkrichtung gibt (vgl. 75).

Albert wagt zum Gottesdienst in der Nacht einen sehr kreativen Fragebogen sich selbst zu beantworten (vgl. 97). Dies verheißt, und es ist allen vier Benedikt-Nachfahren anzumerken, Freude an dem kreativen Umgang mit dem Vorgegebenen.

Sonnenberg nimmt beim Abschnitt „Alte und Kinder“ sehr wohl kritisch Stellung zu den Gegebenheiten einer modernen Gesellschaft mit ihren negativen Erscheinungsformen (vgl. 167), und so entziehen sich die Beiträge auch keineswegs einer kritischen Zeitgenossenschaft, die jeder modernen Kommentierung alter Texte innewohnen sollte.

Wenn Salmann in seinem letzten Beitrag resümiert, dass die ambivalente Gefühlsreaktion zwischen Fremdheit und innerer Zustimmung seine Gefühle zur orchestrierten Lebensweisheit des Benedikt gut zusammenfassen (vgl. 253), dann mag dieses Fazit wohl allen vier nachdenkenden Brillenköpfen zu Eigen sein.

Dem Buch seien viele Leser:innen gewünscht. Sehr passend aus der eigenen benediktinischen Tradition, aber darüber hinaus auch Ordenschristen anderer Provenienz, die nachahmend auf die Idee und Lust kommen könnten, mit ihren Fundamenten des Geistes von Gründer:innen ähnlich zu verfahren.

Laurentius Höhn OP, Vechta