Stichwort
Ordensleben als Nachfolgeexistenz
Themen wie Jüngerschaft und Nachfolge Christi wie auch Sendung und Zeugnisgeben sind in den letzten Jahren in Kirche und Theologie wieder aktuell geworden. Der Begriff der Nachfolge Christi (lat. sequela Christi), der das christliche Leben wie auch das Ordensleben wesentlich bestimmt (vgl. PC 1; 2; 13), ist in der biblischen Tradition tief verwurzelt.
Biblische Grundlagen der Nachfolge
Im Alten Testament ist der Ausdruck „dem Herrn folgen“ (1 Kön 18,21; Jer 2,2) gleichbedeutend mit Glauben. Konkretere Gestalt nimmt dieser Ausdruck in der Nachfolge des Gottesgesandten, sprich des Propheten, seitens seiner Schüler an (1 Kön 19–21). Diese Art des Verhältnisses von Lehrer und Schüler, die gleichzeitig Leben und Lehre betraf, war zur Zeit Jesu und unmittelbar vor Jesus, weit verbreitet. Man begegnet dieser Relation bei Johannes dem Täufer, in der Gemeinschaft von Qumran wie auch im Rabbinertum des 1. Jahrhunderts.1
Der Ruf Jesu zur Nachfolge und Jüngerschaft nimmt einen zentralen Platz in seinem öffentlichen Wirken ein. In der Verkündigung des historischen Jesus bedeutet die Nachfolge im radikalen Sinn, der Autorität Jesu gläubig zu vertrauen und seinem Ruf zu antworten, was eine radikale Änderung des Lebensstils miteinschloss (Mk 1,16–20; Lk 9,57–62). In diesem Sinn bedeutet Jesus nachzufolgen, sich seiner wandernden Gemeinschaft anzuschließen (Mk 2,14; Mt 8,19–22; Lk 9,57–61; Joh 2,12), die eigene Familie zu verlassen und im Zölibat (Mt 19,12) sowie in Armut zu leben, gestützt auf die Vorsehung Gottes (Mk 10,21; Mt 19,21; Lk 18,22).2 Neben der physischen Nachfolge bedeutet das aber auch eine geistliche und persönliche Verbundenheit mit Christus und die Teilhabe an seinem Schicksal (Mk 8,34; Lk 14,26–27). Eine derart radikale Nachfolge geht aus der Faszination hervor, die von der Persönlichkeit Jesu ausging sowie aus der Überzeugung, dass er der eschatologische Gesandte Gottes ist, der mit seinem Leben das Kommen des Gottesreiches vollbringt (Joh 1,35–51; Mk 1,15) – des Gottesreiches, dessen Zeichen die Wunder Jesu sind (Mt 19,12). Nur auf der Grundlage einer solchen persönlichen Beziehung zu Christus und der Überzeugung, dass mit ihm die eschatologische Zeit angebrochen ist, lassen sich die anderen Aspekte der Nachfolge erklären (Joh 6,67–68). Auf der Grundlage dieser Beziehung zu Christus werden die Jünger und Jüngerinnen selbst zu Verkündigenden der messianischen Heilsgüter: der Gerechtigkeit, des Friedens, der Freude und des Segens (Lk 10,5). Doch es erwartet sie auch dasselbe Schicksal von Ablehnung und Kreuz (Mt 10,38; 16,24; Mk 8,34; Lk 14,27; Joh 12,16) sowie andererseits die Belohnung in Auferstehung und ewigem Leben (Joh 8,12).3
„Imitatio Christi“
Nach der Auferstehung versteht sich die Kirche als Ganzes als eine Gemeinschaft, die Jesus nachfolgt, und das christliche Leben wird in der Apostelgeschichte oft als Weg bezeichnet (Apg 9,2; 18,26; 19,23; 24,14). Ganz allgemein kann man sagen, dass es für die ersten Christen nur eine Jüngerschaft und eine Nachfolge gab, und diese war gleichbedeutend mit der Beziehung zu Jesus.4 Die neutestamentlichen Exegeten unterscheiden jedoch zwei Dimensionen der Nachfolge: die vorösterliche, die fast immer auch eine physische Nachfolge beinhaltete, und die nachösterliche, die überwiegend eine geistliche Nachfolge bedeutete.5 In der nachösterlichen Gemeinschaft wurde jedenfalls der geistlichen Nachfolge eine größere Beachtung geschenkt, die sich als Nachahmung Christi (lat. imitatio Christi) verstand und die Aneignung seiner Haltungen von bedingungsloser Liebe, Freiheit, Güte, Großzügigkeit, Barmherzigkeit und Dienstbereitschaft miteinschloss, und die letztlich auch zur Nachfolge Christi am Kreuze führt (Mk 8,34–38; Lk 9,23–27). Selbst wenn man die Nachfolge als imitatio Christi auch in der Praxis des geschichtlichen Jesus erkennen kann, wird diese nach seinem Pascha mit der Erfahrung und Praxis der christlichen Gemeinschaft in Verbindung gebracht (vgl. 1 Kor 4,16; Gal 4,12; 1 Thess 1,6).6 Doch ist die physische Nachfolge Christi auch in der nachösterlichen Gemeinschaft nicht ganz erloschen. In den neutestamentlichen Gemeinden begegnen wir nämlich den charismatischen Persönlichkeiten der wandernden Missionare, die sich ganz der Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes verschrieben haben. Diese Männer und Frauen haben die historische Nachfolge Jesu in bestimmter Weise in die nachösterliche Zeit hineingetragen, indem sie seine Lebensweise in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam gegenüber dem Vater zu ihrer eigenen Sache gemacht haben.7 Im Laufe der Geschichte der Kirche hat es stets einzelne (Heilige) und Gemeinschaften gegeben, die die Notwendigkeit einer radikalen Nachfolge Christi ins Bewusstsein gerufen haben. Dieses Bemühen konnte ganz verschiedene Formen annehmen, vom Martyrium über das Mönchswesen und das Ordensleben bis hin zu Reformbewegungen und radikalen Auslegungen kirchlicher Lehre.8
Ordensleben: Nachfolgeexistenz in Freiheit
Da die Nachfolge substanziell oder theologisch betrachtet die eine ist, waren in der Geschichte der Kirche die geistliche Nachfolge (imitatio) und die physische Nachfolge (sequela) immer aufeinander bezogen und haben einander angeregt und inspiriert. Diese Einheit betont auch J. B. Metz in seinem bekannten Buch „Zeit der Orden?“, wenngleich mit dem Akzent auf die Orden als Vorbild, Korrektiv und Antreiber der ganzen Kirche, damit sie immer entschlossener zu einer Kirche der Nachfolge werde.9 „[D]enn die Nachfolgeexistenz, die allen Christen zugemutet ist, ist nicht eine gemäßigt-ermäßigte, quasi verdünnte Form jener Nachfolge, wie sie die Orden praktizieren sollen, sondern die Nachfolgepraxis der Orden dient der Verwirklichung und Bezeugung der einen Christusnachfolge überhaupt.“10 Die Rede von der Nachfolge als einer einheitlichen Größe kann mit dem Begriff der einen Taufe als dem Ausgangspunkt der christlichen Identität und Sendung in Verbindung gebracht werden (vgl. LG 10), die die gemeinsame Grundlage aller Dienste und Charismen in der Kirche auf ihrem gemeinsamen Weg (gr. sýnodos) ist.
Die Nachfolge ist ein Weg zu Gott und zum Menschen. Sie hat zugleich eine individuell-mystische wie auch eine soziale, praktisch-politische Dimension.11 Die Ordensleute verkörpern diese Werte in konkreten historischen Verhältnissen. Das Leben nach den evangelischen Räten relativiert radikal das Besitzen- und Herrschen-Wollen. Dies wirkt sich auf alle Verhältnisse und Aspekte des Lebens aus, auf die Art und Weise, wie das Leben in der Gemeinschaft gestaltet wird und ebenso auf das apostolische Wirken. Die Ordensberufung offenbart sich besonders dort, wo es um die Verwirklichung der Freiheit und den Dienst am Leben geht.
Metz bemerkte, dass die kirchliche Hierarchie im Laufe der Jahrhunderte die Orden ziemlich vereinnahmt und so die kritische Rolle ihrer radikalen Nachfolge abgeschwächt hat.12 Der überwiegenden Mehrheit der Ordensmänner hat sie ermöglicht, durch ihre Priesterweihe zum Teil des etablierten Systems zu werden, während sie die Ordensfrauen so erzog, dass sie Unterwürfigkeit und Einfügung in das System als Tugend betrachten.13 Wenn etwas die historische Gestalt Jesu so prägend gekennzeichnet hat, dann war es die Freiheit. Das haben seine Jünger, die ersten Apostel und die ersten Christen gut verstanden: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (Gal 5,1). Daher ist es kein Wunder, dass das Thema der Nachfolge Christi in der katholischen Theologie einen großen Stellenwert gerade in der Theologie der Befreiung und der feministischen Theologie einnimmt.14
Der Dienst der Ordensleute an den Menschen kann ganz verschiedene Formen annehmen, sowohl im Rahmen bestehender wie auch außerhalb bestehender, aber längst nicht mehr so wie einst imposanter Institutionen, die in den letzten Jahrhunderten überwiegend auf Erziehung und Bildung sowie auf pastorale und soziale Tätigkeit ausgerichtet waren. Unter der Berücksichtigung der Anzahl und des Alters der Mitglieder ist die apostolische Tätigkeit der Ordensleute heute im Umfang bescheidener, könnte aber umso bedeutungsvoller sein. Viele geschichtlich geerbte Strukturen können zum Humus werden für das Entstehen und Wachsen neuer Initiativen.
Nachfolge als Einsatz für bedrohtes Leben
Im Zentrum der Sendung der Orden steht die Sorge um das Leben, denn Jesus ist gekommen, damit alle „das Leben in Fülle haben“ (Joh 10,10). Es geht um den Einsatz für das bedrohte Leben, um die Ermöglichung des aufblühenden Lebens sowie um das Mittrauern um das verlorengegangene Leben.15 Die Art und Weise des Tätigwerdens erstreckt sich auf alle vier kirchliche Grundvollzüge: Diakonia, Koinonia, Martyria und Liturgia. Alles hängt von den Situationen und Möglichkeiten ab und lässt sich hier nur exemplarisch aufzeigen: Einsatz für die Menschenwürde, Förderung für mehr soziale Gerechtigkeit auf lokaler und globaler Ebene, Engagement in den Situationen von Armut und Ausgrenzung, Diskriminierung und Unterdrückung, Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung, Einsatz für Meinungsfreiheit und Überwindung von Vorurteilen, Beteiligung am ökumenischen und interreligiösen Dialog, Förderung der Gleichberechtigung von Frauen in Gesellschaft und Kirche, Friedensarbeit, Umweltschutz, Forderung nach Ethik in der digitalen Welt, Einsatz für neue Formen von Geschwisterlichkeit und Solidarität mit den vereinsamten Menschen.
Das Leben und Wirken der Ordensleute ist nicht nur ein einseitiges Geben, sondern bedeutet immer auch ein Empfangen (Mk 4,8; Lk 6,38). Die Nachfolge als Weg auf der Suche nach der Wahrheit im Einsatz für das Leben (Joh 14,6) kann viele in Einheit verbinden. Dies führte uns immer wieder zum Bewusstsein, dass wir nur Teil eines größeren Ganzen sind und wir das Leben einander verdanken.
Übersetzung aus dem Kroatischen:
Diethard Zils OP und Frano Prcela OP, Mainz
Fußnoten
01 Vgl. S. Blanco Pacheco, Art. Sequela. Fondamento biblico, in: Dizionario teologico della vita consacrata, Milano 1994, 1607.
02 Vgl. G. Kittel, Art. Sequela, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Bd. I, Stuttgart 1966, 214.
03 Vgl. Blanco Pacheco, Art. Sequela, 1607–1612.
04 Vgl. Kittel, Art. Sequela, 214.
05 Vgl. U. Luz, Art. Nachfolge Jesu I, in: Theologische Realenzyklopädie 23 (1994), 678–686, hier 678.
06 Vgl. ebd., 683.
07 Vgl. Blanco Pacheco, Art. Sequela, 1612–1614.
08 Vgl. S. Müller, Art. Nachfolge (als freiheitliche und lebensfördernde theologische Praxis), in: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon im Internet (www.wirelex.de), 2022, 3.), 2022, 3.
09 Vgl. J. B. Metz, Zeit der Orden? Zur Mystik und Politik der Nachfolge, Freiburg/Br. 1977, 10 u. 36–37.
10 Ebd., 23.
11 Vgl. ebd., 42 u. 45; A. Exeler, Die Vermittlung der Befreiungsbotschaft durch die Katechese. Zur katechetischen Arbeit in Lateinamerika, in: Katechetische Blätter 95,3 (1970), 179–187; ders., Spiritualität, soziales Engagement und Katechese, in: Katechetische Blätter 103,4 (1978), 306–321, und viele andere seiner Werke.
12 Vgl. Metz, Zeit der Orden?, 17.
13 Vgl. M. Zechmeister, Wirksames Ordensleben (28.11.2023.) = https://www.theologie-und-kirche.de/zechmeister-ordenstag-vortrag.pdf [Aufruf: 28.06.2024]. [Aufruf: 28.06.2024].
14 Vgl. E. Schüssler Fiorenza, Njoj na spomen. Feministička teološka rekonstrukcija početaka kršćanstva, Zagreb, 2011.
15 Vgl. Zechmeister, Wirksames Ordensleben.
Die Autorin
Dr. theol. Ana Thea Filipović DSNG (thea.filipovic1@gmail.com), geb. 1961 in Boderište (Brčko), Bosnien und Herzegowina, Prof.‘in für Religionspädagogik und Katechetik an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Zagreb. Anschrift: Vlaška 38, HR-1000 Zagreb. Veröffentlichung u. a.: Die Frauenfrage in den Etappen der Weltsynode: Zagreb, Prag, Rom, in: Gottes starke Töchter. Frauen und Ämter im Katholizismus weltweit (Herder Spezial), Freiburg/Br. 2024, 29–30.