Bücher

Uta Elisabeth Hohmann/Arnulf von Schliha (Hrsg.), „Eyn sonderlicher Gottisdienst“? Evangelische Theologinnen und Theologen als Parlamentarier, Campus Verlag Frankfurt/M., 302 S., € 36,–.

Immer wieder wird sie gefordert, die Trennung von religiösem Glauben und praktischer Politik. Diese Forderung geht jedoch vollkommen an der Tatsache vorbei, dass kein Mensch sich in die Politik einmischt, ohne dabei seinen inneren Überzeugungen zu folgen.

Wie steht es aber um die Trennung zwischen den Institutionen, die für die unterschiedlichen Sphären – die weltanschaulich-religiöse und die politische – stehen? Hier scheint sich eine andere Antwort nahe zu legen: Religiöse und politische Institutionen folgen jeweils anderen Logiken, sie verfolgen verschiedene Ziele, so dass sich eine klare institutionelle Trennung nahe legt. Das heißt nicht, dass Kirche und Staat – um es traditionell auszudrücken – nicht miteinander kooperieren können. Doch muss bei einer solchen Kooperation stets das Wie und das Warum klar sein.

Nun kommt es hierzulande häufig vor, dass das Personal aus der Politik im Raum der Religion auftritt: am Tag der offenen Moschee, bei einem Gedenkgottesdienst, bei einem jüdischen Lichterfest. Und ebenso kommt es vor – und davon handelt der hier angezeigte Band –, dass das religiöse Personal hinüber wechselt in die Politik, und zwar nicht nur für eine besondere Gelegenheit. Es geht um sog. „TheoParl“ (10), also evangelische Menschen mit einem theologischen Abschluss, die in die politisch-parlamentarische Arbeit eingestiegen sind. Das können, aber müssen jedoch nicht unbedingt ordinierte Pastorinnen und Pastoren sein.

Das Buch „Eyn sonderlicher Gottisdienst“ stammt aus dem Centrum für Religion und Moderne der Universität Münster und versammelt elf Aufsätze inkl. eines Vorwortes. Ein Anhang mit statistischem Material findet sich in dem Buch, aber leider kein Stichwortregister. Die meisten Autorinnen und Autoren kommen aus der evangelischen Theologie und konzentrieren sich in ihren Beiträgen folglich auf die Personen, die aus den evangelischen Kirchen hinüber in die Politik gewechselt sind. Ein zusätzlicher Beitrag blickt mit juristischer Brille auf das Fragengeflecht, das entsteht, wenn römisch-katholische Priester in die Politik gehen (Christian Schulze Pellengahr, 65–95).

Einige Beiträge handeln eher von den systematischen Themen: Wie steht es beispielsweise aus rechtsgeschichtlicher Sicht um die Vereinbarkeit von geistlichem Amt und politischem Mandat (Martin Otto, 31–63)? Es zeigt sich dabei, dass es immer schon „politische Pfarrer“ (51) gegeben hat. Und schon immer hat es Fragen und Spannungen gegeben, da unklar war, wie die Institution Kirche mit solchen Personen umgehen soll. So richtig knifflig werden die Fragen aber, wenn Träger eines öffentlichen Amtes – ein Pfarrer, eine Pastorin – ein weiteres öffentliches Amt in Form eines politischen Mandats übernehmen wollen.

Der Rezensent las mit besonderem Interesse jene Beiträge, die konkrete kirchlich und politisch aktive Personen in den Vordergrund stellen. Dabei fällt auf, dass ordinierte wie nicht-ordinierte Theologinnen und Theologen über die vergangenen 100 Jahre in Parteien jeglicher Couleur aktiv waren. Die Beiträge von U.E. Hohmann (119–139) und von A. von Scheliha (173–197) rücken Theologinnen und Theologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund, die durch Veröffentlichungen, Parteimitgliedschaft und/oder politische Tätigkeit liberale, sozialdemokratische, konservative bis rechtsnationale Gesinnungen offenbarten. Bei der Lektüre dieser Texte zu Personen wie Emmanuel Hirsch, Magdalena von Tiling u. a. wächst die Einsicht, dass eine theologische Ausbildung in der Vergangenheit nicht vor anti-demokratischen und anti-pluralistischen Mentalitäten schützte. Gleichzeitig zeigen die biografischen Skizzen auf, dass die untersuchten Personen im Laufe ihrer politischen Karriere immer wieder vor der Herausforderung standen, sich politisch wie theologisch neu zu erfinden. Politisches Engagement bringt es mit sich, dass man in gewissem Maße immer mit der Zeit gehen muss.

Das trifft auch auf Theologinnen und Theologen zu, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts parteipolitisch tätig waren. Auffallend ist, dass gerade in der Umbruchsphase 1989/1990 sehr viele ordinierte Personen der DDR aus dem Raum der Kirche hinüber wechselten in die Politik. Der Beitrag von Claudia Lepp (199–225) kartiert das politisch-theologische Engagement besonders in den Jahren zwischen 1990 und 2000 anhand von konkreten Zahlen und Fakten. Der Text von Roxanne Camen-Vogel vertieft diese Übersicht mit einem exemplarischen Blick auf den Pastor und Politiker Rainer Eppelmann (227–254).

Alle Texte, auch die hier nicht explizit benannten, lesen sich anregend und bieten eine Fülle an ideen-, politik- und kirchengeschichtlichen Details. Grundlegend ist die Einsicht, das sich „die Demokratie-Lerngeschichte des deutschen Protestantismus […] synchron zur gesamtgesellschaftlichen Lerngeschichte [vollzieht]. Der Glaube denkt nicht voraus, hingt auch nicht hinterher, sondern ist (reflexiver) Begleiter der politischen Geschichte.“ (19)

Burkhard Conrad, Winsen/Luhe