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Jan-Hendrik Herbst, Die politische Dimension des Religionsunterrichts. Religionspädagogische Reflexionen, interdisziplinäre Impulse und praktische Perspektiven (Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft Bd. 31), Verlag Brill Schöningh Paderborn 2022, 627 S., € 118,–.

Was ist in spätmodern-nachchristlicher Zeit hierzulande angesagt: ein Religionsunterricht mit starkem theologischen Fachprofil (der in der Gefahr steht, an den Fragen von weitgehend säkularisierten Kindern und Jugendlichen vorbeizugehen) oder ein lebensweltlich ausgerichteter Unterricht, der sowohl personale als auch gesellschaftliche Fragen seiner Adressat*innen problematisiert (und im Nachhinein oftmals als allzu seicht wahrgenommen wird)? J.-H. Herbst, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kath. Theologie der Universität Dortmund, widmete sich in seiner Dissertation der skizzierten Spannung. Bewandert sowohl im pädagogischen wie spezifisch religionspädagogischen Feld und zugleich als exzellenter Kenner der neuen Politischen Theologie ausgewiesen (vgl. etwa den von ihm zusammen mit Claudia Gärtner hrsg. Sammelband: Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik. Diskurse zwischen Theologie, Pädagogik und Politischer Bildung, Heidelberg 2020), formuliert Herbst seine Grundüberzeugungen: Religionsunterricht ist politisch und sollte politisch sein. Er ist in politische Herrschaftsverhältnisse verstrickt und bewirkt auch ungewollt politische Konsequenzen. Wird dies bewusst reflektiert, kann Religionsunterricht so gestaltet werden, dass er zu demokratischer Bildung beiträgt. Dies gelingt besonders dann, wenn er religiöse Bildung fördert und religionsbezogene Positionierungen eröffnet.

Das Buch gliedert sich in sechs Teile (A–F). Neben einem einführenden „Vorwort“ (XI–XIV) bietet es ein Abbildungs- (523), ein Abkürzungs- (525) und vor allem ein über einhundert Seiten umfassendes Literaturverzeichnis (527–627). Im Anschluss an „Grundlegende Vorüberlegungen“ (A) zum Forschungsstand und zum wissenschaftstheoretischen Status der Untersuchung (1–72) thematisiert das Hauptkapitel B „Kontroverse Diskussionspunkte in der aktuellen Debatte um eine politische Dimension des Religionsunterrichts“ (73–210); zu diesen gehört bspw. die Frage, inwiefern das Politische im Sinne einer formalen Zielvorgabe „eine durchgängige didaktische Grundperspektive religiöser Bildung“ (153) sein sollte. In Teil C setzt sich der Verf. in historischer Perspektive mit zentralen „politischen Ansätzen der religionspädagogischen Reformdekade um 1968“ auseinander (211–297). Zu diesen zählt u. a. der bis heute noch bedeutsame (vgl. 229) Würzburger Synodenbeschluss „Der Religionsunterricht in der Schule“ von 1974. In Hauptkapitel D widmet sich Herbst der „Rekonstruktion und Fortschreibung von Impulsen aus exemplarischen Debatten verwandter Disziplinen“ (299–396). Dazu zählen u. a. theologische wie auch demokratie- und bildungstheoretische Aspekte. Der folgende Teil E widmet sich der Unterrichtspraxis (397–502). Er beantwortet Fragen wie: Welche Rolle spielen soziale Bewegungen, Projekte und Aktionen in einem Religionsunterricht, dessen politische Dimension bewusst reflektiert und gestaltet wird? Wie sollte im Unterricht auf populistische Kommentare reagiert werden? Das abschließende Hauptkapitel F resümiert die Ergebnisse der Untersuchung (503–522). Zu diesen gehören die Charakterisierung eines politischen Religionsunterrichts als „herrschaftskritisch“ (507), „theopolitisch“ (509) und „messianisch“ (510). Zudem benennt Herbst dort „Desiderate und Grenzen“ (513). Zu Ersteren zählt neben anderen die bis dato noch nicht befriedigend vollzogene wissenschaftstheoretische Vertiefung der Verbindung der Religionspädagogik zu „politisch-theologischen Argumentationsfiguren“ (517).

Gerade diese und andere „Leerstellen“ (513) zeigen paradigmatisch die Bedeutung auf, welche die vorliegende Dissertationsschrift für die Weiterentwicklung der neuen Politischen Theologie insgesamt beanspruchen darf, und deren Lektüre deshalb – so das persönliche Fazit des Fundamentaltheologen – auch nicht bloß Religionspädagog*innen Gewinn verspricht.

Ulrich Engel OP, Berlin