Laurentius Höhn / Thomas Nauerth / Egon Spiegel (Hrsg.), Frieden als katholische Aufgabe. Leben und Werk von Franziskus M. Stratmann OP (Dominikanische Quellen und Zeugnisse Bd. 26), Verlag Herder Freiburg/Br. 2022, 286 S., € 28,–.

In einer Zeit, in der pazifistischen Bewegungen wieder einmal – und wieder einmal nicht ohne Grund – Zynismus und Egoismus vorgeworfen wird, erscheint nun passenderweise ein Buch über den „zentralen Theoretiker der frühen katholischen Friedensbewegung in Deutschland“ (9) und einen der Mitgründer von Pax Christi in Deutschland, Franziskus M. Stratmann OP (1883–1971).

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil (13–184) sind fünf Beiträge über das Leben und über verschiedene Aspekte des Werkes von Stratmann versammelt: Die Beiträge von Thomas Heath OP und Egon Spiegel behandeln seine Biografie in Verbindung mit seiner Friedenslehre; der Beitrag von Carsten Barwasser OP stellt Stratmanns Werk in den Kontext der Ordens- und kirchlichen Theologie seiner Zeit und zeigt ihn als einen im Ansatz innovativen Denker; Elias H. Füllenbach OP hebt die Stellung Stratmanns gegenüber dem Antisemitismus hervor; Thomas Nauerth verbindet die Lehre Stratmanns mit den ekklesiologischen und ökumenischen Entwicklungen in der Kirche. Im zweiten Teil des Buches (185–286) werden einige von Stratmanns Aufsätzen neu publiziert.

Der Dominikanerpater Stratmann sah den Eintritt Deutschlands in den 1. Weltkrieg als gerechtfertigt an, hat diese Ansicht jedoch relativ schnell und unter dem Einfluss von Friedrich Wilhelm Foerster (1869–1966) öffentlich als Irrtum anerkannt (22, 55). Er hat sich allerdings danach auch von Foerster distanziert: Bereits im Jahr 1924 hat Stratmann in seinem Buch „Weltkirche und Weltfriede“ die Annahme verteidigt, dass kein moderner Krieg mit der Lehre vom „gerechten Krieg“ vereinbar sei – während Foerster Frankreich und England zum Aufrüsten aufrief, um einen weiteren Weltkrieg zu verhindern. Stratmann vertrat also die These der Unvereinbarkeit von Krieg und Gerechtigkeit, die zwar inzwischen mehrfach sowohl praktisch (am spektakulärsten im 2. Weltkrieg) als auch ethisch-theoretisch (zuletzt z. B. durch den Tübinger katholischen Moraltheologe Franz-Josef Bormann widerlegt wurde, aber dennoch bis heute viele Anhänger und Vertreter findet. Stratmann übernimmt die klassischen Kriterien für einen „gerechten Krieg“ und schließt aus der Feststellung, dass die Erfüllung all dieser Kriterien bei einem modernen Verteidigungskrieg praktisch nicht umsetzbar sei, dass sich ein überfallenes Land möglichst schnell ergeben sollte, um eventuell später zivilen Ungehorsam gegen die Besatzer auszuüben.

Im biografischen Teil des Buches erzählt Heath u. a., dass Stratmann im Jahr 1933 wegen seines Protestes gegen die Auflösung der Friedensorganisationen von der Gestapo verhaftet wurde. Erst nach mehreren Wochen konnte er mit Hilfe eines „freundlichen Untersuchungsbeamten“, der ihm die „richtigen Antworten“ beim Verhör vorlegte, einer Anklage entkommen. Wegen der Gefahr einer zweiten Anklage hat ihn der Orden, um ihn zu schützen, heimlich nach Rom, später in die Niederlande und anschließend nach Belgien geschickt, wo er sich bis zum Ende des Krieges in einem Frauenkloster versteckt hielt (32). Aus dem Text geht nicht hervor, ob er von der Gestapo auch gefoltert worden ist (wie es in der Regel später in den besetzten Gebieten Praxis war). Doch auch unabhängig davon nötigt einem diese Lebensgeschichte tiefen Respekt ab. Deutlich anders wirkt diese Geschichte allerdings, wenn man sie mit einem von Stratmann 1931 veröffentlichten Text vergleicht (232), in welchem er von einem Menschen, dessen Land überfallen wurde und sich in feindlicher Besatzung wiederfindet, statt eines bewaffneten Widerstandes „viel Märtyrerblut“ erwartet.

Die Erfahrung des 2. Weltkrieges hat Stratmann dazu gebracht, seine Position einigermaßen zu überdenken. Nun erkennt er: „Die unbestreitbare Wahrheit ist doch, dass Verbrecher zu größeren Verbrechen ermutigt werden, wenn man sie gewähren lässt“ (41). Freilich bleibt die Frage, wer genau es denn sein soll, der „den Verbrecher“ nicht „gewähren lässt“, bei Stratmann unbeantwortet. Er selbst steht jedenfalls, nicht nur biografisch, sondern auch theoretisch an der Seite der sich Zurückziehenden und der Kriegsdienstverweigerer (43).

Diese Gespaltenheit bleibt bei Stratmann auch in den 1960er und 1970er Jahren bestehen. In einem Text von 1960 stellt er einerseits fest: „Jeder Staat hat das Recht und die Pflicht, seine Bürger gegen jedes von innen oder außen kommende Unrecht zu verteidigen, mit Einschluss der bewaffneten Verteidigung…“ (269). Andererseits zitiert er Papst Pius XII.: „Wenn die durch den Krieg verursachten Schäden mit denen des erduldeten Unrechts nicht zu vergleichen sind, kann die Pflicht bestehen, das Unrecht zu ertragen“ (271).

Auch wenn seine Friedenslehre nicht zum ersehnten Frieden (vgl. den Buchtitel) führt, sondern eher zu dessen Gegenteil, verdienen die Bemühungen von Stratmann in einem anderen Bereich Wertschätzung, wie Barwasser deutlich macht. Stratmann ist nämlich einer der Theologen gewesen, die eine Erneuerung der Theologie angestoßen haben, und zwar mit dem Versuch, die Spaltung zwischen „der Kirche“ und „der Welt“ zu überwinden. Dieses Bemühen hat u. a. in der Entwicklung der dominikanischen Theologie in Frankreich Frucht getragen und spiegelt sich schließlich aber auch im II. Vatikanischen Konzil wider.

Jana Ilnicka, Erfurt