Stichwort

Krieg und Frieden

Bei diesen Stichworten kommt einem unweigerlich Lew Tolstois „Krieg und Frieden“ in den Sinn, das Epos über das Umfeld der Napoleonischen Kriege (1805–1812) und eines tragisch scheiternden Russlandfeldzugs des französischen Feldherrn, der unter dem Vorwand, die Freiheit exportieren zu wollen, nach Moskau aufbrach und bei der Rückkehr der misslungenen Moskau-Invasion durch den eisigen Winter den größten Teil seines Heeres dem Tod anheimgab. Es ist die Erzählung einer Welt des Friedens, die beständig bedroht ist vom Krieg. Wie nahe sich die beiden Antipoden sind, zeigt der Autor beispielhaft am Leben des Offiziers Rostow, für den die Zeit in der Armee „Glückseligkeit“ bedeutete: „in ebendiesem obligatorischen und untadeligen Müßiggang besteht nach wie vor die Hauptattraktivität des Militärdienstes.“1 Der Traum von der Muße war aber spätestens mit dem Anrücken der Franzosen zu Ende.2

Krieg und Frieden – Antipode oder Symbiose

Die Zeichen der Zeit machen deutlich, dass dies keineswegs nur literarische Fiktion ist, sondern auch Wirklichkeit widerspiegelt. Krieg und Frieden sind nicht nur Antipoden, sondern stehen zuweilen in einem recht symbiotischen Verhältnis. Der Krieg wird begonnen in Zeiten des Friedens und es ist intendiert, mit Krieg und Gewalt etwas durchzusetzen, um danach wieder zum Frieden zurückzukehren. Die klassische Militärethik ist keineswegs nur bestimmt von sinnloser Gewalt und von Exzess, sondern ist eine Variante des politischen Agierens, um bestimmte Interessen zu vertreten. So ist auch die – oft missverstandene Formel – des Kriegstheoretikers v. Clausewitz zu verstehen, der schreibt: „So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.“3

Kriege gibt es seit dem Beginn der Menschheit, d. h. es entstehen Konflikte unterschiedlichster Art, die irgendwann umschlagen in bewaffnete und gewaltsame Auseinandersetzungen. Da es bis hin zum Mittelalter keine formalen Regelungen gab, war zwar für alle Beteiligten konsequent, dass mit dem Erreichen des Ziels der Krieg als Mittel ausgedient hatte und wieder Friede herrschte. Allerdings waren die Auswüchse der Gewalt bzw. der Racheakte an Unterlegenen zum Teil erheblich.4 Politische Herrschaft begründete sich im Mittelalter auf dem Recht als göttliche Ordnung, das im ewigen Gesetz Gottes vorgegeben war. Der „orbis christianus“ (res publica christiana) kannte Rechte und Pflichten im Lehenssystem und das entsprechende Treueverhältnis („fides“) mit wechselseitigen Loyalitäten. Kriege im eigentlichen Sinne hat man eher gegen Heiden und Ketzer geführt (z. B. Kreuzzüge) bzw. ließ sie führen durch Söldner und Ritter. Mittelalterliche Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Herrschern galten nicht als Kriege, sondern als Fehden. Ein zunächst gewaltfreier Rechtsstreit schlug um in ein gewaltsames Durchfechten des Konflikts im Rahmen der vorgegebenen Rechtsordnung.

Erst in der frühen Neuzeit begannen – mit der Existenz gleichberechtigter Nationalstaaten – moderne Staatenkriege. Die Zivilbevölkerung wurde zwar offiziell von Kampfhandlungen verschont, da sie unter den stehenden Heeren stattfanden, litt aber unter den Folgen des Krieges (Plünderungen, Vergewaltigungen etc.). Nicht umsonst wurden sie „Kabinettskriege“ genannt und die o. g. Formel von Clausewitz, die aus dieser Zeit stammt, wird dann als Analyse und Option verständlich.

Ein „totaler Krieg“

Es waren die beiden Weltkriege, die die Ausmaße eines „totalen Kriegs“ annahmen. Die Bevölkerung wurde unmittelbar miteinbezogen (u. a. durch Generalmobilmachung) und mit den neuen Waffentechniken von Armee, Marine sowie Luftwaffe wurde die strategische Bombardierung ganzer Städte und Landstriche möglich. Die physische Vernichtung des Kriegsgegners wurde zunehmend zum Programm. Dennoch gab es Versuche zur völkerrechtlichen Ächtung des Krieges. Im „Völkerbund“ (1920) wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker betont und die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung eines Konflikts. Dazu kam eine Beistandszusage im Falle eines Angriffs von außen. Die „Vereinten Nationen“ schließlich präsentierten die Charta der Vereinten Nationen (1945), in der militärische Gewalt, wenn sie nicht der Selbstverteidigung diente, per se verboten war. Aus Kriegsvölkerrecht wird Friedensvölkerrecht. „Durch dieses Friedensvölkerrecht ist der Grundgedanke des früheren Kriegsvölkerrechts aufgehoben, das den einzelnen Nationalstaaten eine freie und ungebundene Kriegserlaubnis zubilligte, um ihre politischen Interessen nach Belieben durchzusetzen.“5

Die beiden Weltkriege – und nicht zuletzt die sinnlosen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki – führten zu einer neuen Sensibilität, Konflikte nicht in Kriege umschlagen zu lassen. So waren die Spannungen zwischen Ost und West erheblich, was zu einer immensen Aufrüstung auf allen Seiten führte (bis hin zu Atomwaffen), aber es kam mit dem Prinzip der gegenseitigen Abschreckung bis zum jähen Fall des Eisernen Vorhangs immerhin nicht zu einem offenen Krieg, wenn man einmal von den erst kurz danach beginnenden Kriegen im zerfallenden Jugoslawiens absieht. Das allgemeine Sicherheitsgefühl nach der entpolarisierten Epoche zerbrach mit den Anschlägen des 11. September und die Weltgemeinschaft wurde konfrontiert mit den „neuen Kriegen“6. Hier sind nicht mehr Staaten die eigentlichen Player, sondern Warlords, Söldner und Terroristen, die vornehmlich die Zivilbevölkerung und Unbeteiligte zu treffen suchen und all dies möglichst hochpräsent in den sozialen Medien.

In der Welt werden heute an allen Ecken und Enden Dekolonisierungs-, Befreiungs-, Unabhängigkeits-, Guerilla-, Stellvertreter- und Partisanenkriege geführt. Der im Februar 2022 begonnene Ukraine-Krieg erweist sich zudem als neues Kapitel der Kriegsführung in Europa mit einem sehr offenen Ende.

Position der Kirchen

Die dramatischen Ereignisse in der Ukraine fordern auch die christlichen Kirchen zu neuen Antworten und Positionen heraus, da das Bekenntnis vom „gerechten Frieden“ (in Abgrenzung zum klassischen „gerechten Krieg“) scheinbar keine klare Antwort mehr gibt.7 Die biblisch inspirierte Rede vom gerechten Frieden entwickelte sich seit den 1980er Jahren zu einem friedensethischen Leitbild, das nicht nur die Lehre vom gerechten Krieg als auch den Pazifismus zu integrieren versuchte.8 Die Kirchen und die Theologie sind gehalten, die Debatte aufzugreifen und fortzusetzen. Dabei gilt es, Clausewitz im Blick zu behalten und sowohl das Antipodische als auch das Symbiotische von Krieg und Frieden als Faktum zu respektieren.

Fußnoten

01 Vgl. L. Tolstoi, Krieg und Frieden. Übersetzt und kommentiert von B. Conrad (2 Bde.), München 2010 (Zweites Buch, Teil IV.I.), 855ff.

02 Vgl. Th. Eggensperger, Muße durch Entnetzung. Überlegungen zum nachhaltigen Verhältnis von Freizeit und Digitalität, in: T. Kläden u. a. (Hrsg.), Zurück auf Los oder Neustart? Tourismus, Kirchen und Nachhaltigkeit, Stuttgart 2023, i. Druck.

03 C. v. Clausewitz, Vom Kriege, I.24.

04 Zur Geschichte und zur theologischen Bewertung sei verwiesen auf die brillante Studie von E. Schockenhoff, Kein Ende der Gewalt. Friedensethik für eine globalisierte Welt, Freiburg/Br. 2018.

05 Ebd., 66.

06 Vgl. H. Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2004; M. Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt/M. 2000.

07 Vgl. das Hirtenwort der deutschen katholischen Bischöfe „Gerechter Friede“ vom 27.09.2000 (Die deutschen Bischöfe Bd. 66), Bonn 42013, oder die EKD-Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“, Gütersloh 2007.

08 Vgl. E. Schockenhoff, Kein Ende der Gewalt, a.a.O., 578–665 („Die Säulen des gerechten Friedens“).

Der Autor

Dr. theol. Thomas Eggensperger OP, M.A. (eggensperger@institut-chenu.info), geb. 1963 in Wien. Prof. für Sozialethik am Campus für Theologie und Spiritualität Berlin und geschäftsf. Direktor des Institut M.-Dominique Chenu Berlin. Anschrift: Schwedter Straße 23, D-10119 Berlin. Veröffentlichung u. a.: Theologie und Spiritualität im Raum des Mundanen. Communio und Sozialethik, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 63 (2022), 107–127.