Rainer Gottschalg, „Was nützt die Liebe in Gedanken?“ Ekklesiologische Orientierungen zwischen Gnade und Freiheit, Verlag Ferdinand Schoeningh Paderborn 2020, 450 S., € 118,–.

Seit dem ersten Advent 2019 ringen die Mitglieder des Synodalen Wegs vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in einem selbstkritischen Dialog um eine glaubwürdige Zukunft der Institution. R. Gottschalg, einer der Referenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) im Synodalbüro, greift mit seiner an der Paris-Lodron-Universität (Salzburg) eingereichten Dissertation in die aktuellen ekklesiologischen Debatten ein – allerdings nicht in erster Linie im Blick auf die (reformbedürftigen) kirchlichen Strukturen. Statt – wie es vielleicht naheliegend gewesen wäre – eine institutionensoziologischen Perspektive anzulegen, präsentiert er einen fundamentaltheologischen Ansatz. Unter theologisch-anthropologischen Vorzeichen zielt Gottschalgs Interesse auf die Topographie kirchlicher Identitätskonstruktionen, insofern er den ‚Glauben‘ – hier vor allem verstanden als actus humanus (vgl. 162 u.ö.) – in der Spannung zwischen dem anthropologischen Prinzip der Freiheit und dem theologischen Prinzip der Gnade verortet. In der Spur des Theologen Thomas Pröpper (1941–2015) sucht Gottschalg dessen Theologie der Freiheit ekklesiologisch zu formatieren. Dazu rekonstruiert er im Anschluss an das einleitende Kapitel zur theologischen Hermeneutik (1–159) Pröppers These, nach der „[d]ie menschliche Hinordnung auf Gott und die unbedingte Offenbarung seiner Selbstoffenbarung im selben Maße ansichtig werden [können], wie auf die Konstitution der menschlichen Freiheit in ihrer formalen Unbedingtheit und materialen Bedingtheit […] geachtet und das Problem ihrer angemessenen, durch sie selbst gebotenen Realisierung durchdacht wird.“ (Th. Pröpper, Evangelium und freie Vernunft, Freiburg/Br. 2001, 22; zit. R.G., 260.) Im Sinne dieser Einsicht bestimmt sich das Wesen der Kirche von ihrer Praxis her – und zwar im Akt ihrer immer wieder neuen und nie zum Ende kommenden Verwirklichung in Geschichte und Gesellschaft. Mit Christoph Theobald SJ kann eine solche Kirchengestalt im Werden als „Lebensstil“ (397) gefasst werden. Auch wenn Gottschalgs fundamentaltheologische Erarbeitung einer rational nachvollziehbaren Ekklesiologie anders vorgeht als die pastoral(-theologisch) intendierten Bemühungen des Synodalen Wegs, so kommen doch beide darin überein, dass Kirche erst durch glaubwürdiges Handeln „den sakramentalen Charakter ihrer Zeugniswirklichkeit“ (420) realisiert. In dieser Hinsicht gilt denn auch die These Gottschalgs, nach der „‚Kirche‘ und ‚Sakrament‘ […] dieselbe Begründungsstruktur [teilen]“ (154), insofern sie Zeichen und Mittel des trinitarisch strukturierten Heils-von-Gott sind. Wer vor dem Hintergrund der kirchlichen Reformbemühungen an einem ekklesiologisch anspruchsvollen Diskurs über kirchliche Identitätskonstruktionen und ihre Begründungen interessiert ist, dem sei die Arbeit Gottschalgs unbedingt empfohlen.

Ulrich Engel OP, Berlin – Münster