Maria Antonietta / Françoise Caussé, Le Corbusier – Ronchamp. Die Kapelle Notre-Dame du Haut. Aus dem Italienischen und Französischen von Franziska Dörr, Verlag Schnell & Steiner Regensburg 2014, 229 S., 123 Farb-, 43 s/w-Abb., € 69,–.

Anzuzeigen ist ein monumentaler und zugleich äußerst informativer Bildband über die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut (Unsere Liebe Frau von der Höhe) im ostfranzösischen Ronchamp. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen Kirchenbau und sakrale Kunst nicht nur in Frankreich vor neuen Herausforderungen. Dem zu jener Zeit schon und bis heute höchst renommierten sowie gleichermaßen höchst umstrittenen Architekten Le Corbusier (1887-1965), der 1950 mit dem Neubau der Kirche von Ronchamp beauftragt worden war, ging es darum, einen Raum zu schaffen, der nicht weniger sein sollte als eine „Antwort auf die Sehnsucht, die man manchmal spürt, aus sich herauszugehen und nach einem Kontakt mit dem Unbekannten zu suchen“ (11). Auftraggeberin des Baus war die Diözese Besançon, für dessen Erzbischof Maurice-Louis Dubourg (1878-1954) und seine Mitstreiter der Geist der Zeitschrift „L’Art sacré“ prägend war. Diese von Marie-Alain Couturier OP (1897–1954) und Pie-Raymond Régamey OP (1900–1996) verantwortete Zeitschrift prägte die damaligen Debatten um das Verhältnis von Kunst und Kirche nachhaltig. Beide Dominikaner betrachteten qualitativ anspruchsvolle künstlerische Arbeiten – und zwar nicht bloß von kirchlich gebundenen Künstlern geschaffene(!) – als „sichere Zeichen des wahren Zustandes einer bestimmten Moralität oder Spiritualität“ (18). (Nur am Rande sei bemerkt, dass in diesem Zitat avant la lettre etwas von der konziliaren Theologie der „Zeichen der Zeit“, wie sie Marie-Dominique Chenu OP entworfen hat, aufscheint.) Die beiden Autorinnen A. Crippa (Architektin; Professorin für Architekturgeschichte an der Hochschule Politecnico in Mailand; Spezialistin für Städtebau- und modernen Kirchenbau) und F. Caussé (Professorin an der Universität Bordeaux; Expertin für zeitgenössische sakrale Kunst und die Zeitschrift „Art sacré“) bieten in ihren Beiträgen spannende Einblicke in Genese und Hintergründe des Projektes Ronchamp. Mit ihrer Quellen- und Bilddokumentation rekonstruieren sie detailliert das Werden der Kapelle als das Resultat eines außerordentlichen Dialogs zwischen Rationalismus und dem „Heiligen“, zwischen einer tendenziell agnostischen Kunstszene und ästhetisch informierten Kirchenvertretern, zwischen architektonischer Formgebung (Le Courbusier definierte das Innere der Kirche als „hohle Vollplastik“; 9) und liturgischer Bestimmung. Ein faszinierendes Buch, das unbedingt in die Bibliotheken aller Theologischen und Architektur-Fakultäten gehört!

Ulrich Engel OP, Berlin – Münster