Rezensionen

[1] Franz-Josef Overbeck, Konstruktive Konfliktkultur. Friedensethische Standortbestimmung des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr, Verlag Herder Freiburg/Br. 2019, 109 S., € 14,–.
[2] Sigurd Rink, Können Kriege gerecht sein? Glaube, Zweifel, Gewissen – Wie ich als Militärbischof nach Antworten suche, Ullstein Verlag Berlin 2019, 286 S., € 20,–.

Fast gleichzeitig publizierten die Militärbischöfe der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland Bücher über ihre leitende Tätigkeit in der Bundeswehrseelsorge. Sie versuchen je individuell Antwort zu geben auf die Frage, wie man auf die Realität einer Truppe eingehen kann, die nicht nur im Verteidigungsmodus gegenüber potenziellen Gegnern verharrt, sondern sich mittlerweile auch im aktiven Kampfeinsatz im Ausland befindet. Militärische Gewalt bedarf friedensethischer Reflexionen und Antworten, die sowohl friedensliebende Christen als auch Betroffene in Politik und Militär überzeugen sollen.

F.-J. Overbeck, auch Bischof der Diözese Essen, geht in seinem Buch [1] vom Begriff des „Konflikts“ aus, d. h. der Moment, in dem Interessen oder Wertvorstellungen Einzelner, von Gruppen, Organisationen oder Staaten aufeinanderprallen (confligere), und dies je nach Konflikttyp in je spezifischen Beziehungsgeflechten. Dabei – so Overbeck – muss Konflikt prinzipiell nichts Schlechtes sein, denn nicht der Konflikt bringt Unfriede hervor, sondern die Art und Weise der Konfliktaustragung. „Der Wille, eine konfliktfreie Gesellschaft zu schaffen, hat, so lehrt die Geschichte, schon wiederholt zu Unterdrückung und totalitärer Herrschaft im Staat ebenso wie in der Kirche geführt.“ (9) Gewalt ist eine Variante der Konfliktlösung, wenn sie versucht, Schlimmeres zu verhindern, aber ihre Anwendung provoziert leicht neue Konflikte. Auf dieser Grundlage setzt sich Overbeck in fünf Abschnitten mit dem Konfliktphänomen auseinander.

Zunächst beginnt er mit der Analyse im Kapitel „Verschärfte Konfliktivität als Kennzeichen der gegenwärtigen Welt“ (17–28). Nach dem Ende des Kalten Krieges hat das kriegerische Potenzial nicht abgenommen, empirische Daten zeigen das Bild einer radikal zerklüfteten, in vier Teilwelten aufgesplitterten und gewaltgezeichneten Welt (D. Senghaas). Alle Welten erleben Globalisierung, aber jede Welt erlebt sie anders, mal besser, mal schlechter, von einem einheitlichen globalen Wirtschaftsmodell kann man seriös nicht sprechen. Im Geiste von „Laudato Si“ bedarf es neben der Bekämpfung von Ungerechtigkeit auch alternativer Optionen der Solidarität, Subsidiarität und einer friedlichen Austragung von Konflikten. Manche Strategien, wie beispielsweise die sog. „humanitären Interventionen“, sind nicht immer gut aufgegangen, weil sie zuweilen unter fragwürdigen Rechtstiteln erfolgt sind und zudem die humanitäre Zielsetzung der inhumanen Durchsetzung entgegenstand. Ebenso ist die Begrifflichkeit der „Neuen Kriege“ problematisch, da terroristische Gewaltakte im eigentlichen Sinne keine Kriege sind.

„Das konstruktive Potenzial des Konflikts“ (29–54) wird im zweiten Abschnitt näher hin beleuchtet – ausgehend von Athen über die frühchristlichen Gemeinden bis hin zu Augustinus, dessen „Gottesstaat“ Overbeck als den ersten umfassenden Entwurf einer Friedenslehre betrachtet, die eine politische Friedensethik begründet und einschließt. Thomas von Aquin wird später daran anknüpfen und dabei die menschliche Freiheit stärker betonen. Es wird Immanuel Kant sein, der dem Konflikt eine mächtige Triebkraft für den menschlichen Fortschritt konzediert. Der Autor verweist auf C.O. Scharmer, der fordert, bereits aus der Zukunft zu lernen, während sie hereinbricht, d. h. neue Chancen zu erkennen, um eingefahrene Schablonen aufzubrechen.

Der dritte Abschnitt („Eine konstruktive Konfliktkultur“, 55–66) dient Overbeck zur Vertiefung seiner Thesen. Konflikte sind auszuhalten und zu transformieren, d. h. es dürfen nur solche Ziele der Konfliktparteien berücksichtigt werden, die legitimen Ansprüchen des Rechts und basalen menschlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. Versöhnung ist eine besondere Weise der konstruktiven Konfliktbearbeitung.

Overbeck konkretisiert dies im vierten Abschnitt – „Institutionen konstruktiven Konfliktaustrags“ (67–81) – und endet mit dem Wechselverhältnis „Soldatendienst und konstruktive Konfliktkultur“ (83–106). Es ist evident, dass Soldaten in Konfliktstrukturen eingebunden sind und sich entsprechend zu verhalten haben. Dabei spielt die Tugend der „Tapferkeit“ als traditionelles Konfliktbewältigungsideal eine besondere Rolle – in Deutschland explizit genannt in der Eidesformel! Sie hat aber in enger Beziehung zur Tugend der Gerechtigkeit zu stehen, damit sie tatsächlich Tugend ist und damit es nicht zum everything goes kommt. Overbeck exemplifiziert mittels einiger konkreten Beispiele die ethische Komponente der Abwägung im Handeln des Soldaten – zum Teil als Gewissensentscheidung. „Die Bundeswehr sollte eine Kultur entwickeln, in der Raum, Verständnis und Anerkennung für die Gewissensnot der Soldaten ist […]. Da die Soldaten im Namen aller agieren, müssen ihre Gewissensnöte auch die aller sein.“ (108)

Overbeck präsentiert seine Kernthesen analytisch und essayistisch zugleich; sie bilden einen guten Anknüpfungspunkt für vertiefte Reflexionen.

Das Buch von S. Rink [2] ist deutlich voluminöser ausgefallen. Rink setzt sehr persönlich an und skizziert den eigenen biographischen Werdegang vom überzeugten Pazifisten zum Militärbischof der evangelischen Kirche (bis 2020). Ihm ist bewusst, dass zum Thema „viel zu viel geschwiegen wird“ und „sich mit den Themen Krieg, Bundeswehr und Auslandseinsätze kein Blumentopf gewinnen lässt.“ (11) Dies gilt besonders für die evangelische Kirche, die traditionellerweise sehr viel pazifistischer ausgerichtet ist als die katholische Schwester. Rink skizziert die Entwicklung vom gerechten Krieg hin zum gerechten Frieden beginnend mit den beiden Testamenten der Hl. Schrift über Augustinus, den Aquinaten, Luther bis hin zu Kant. Auf dieser Grundlage definiert der Autor die Rolle der heutigen Militärseelsorge, die ihre Aufgabe in der Bundeswehr mit den vier Leitbegriffen „begleiten, ermutigen, verkündigen, orientieren“ beschreibt und dabei – trotz ihrer Einbettung ins Militär – unabhängig bleibt, beispielsweise keiner Berichtspflicht unterliegt und so einen geschützten Raum für offene Gespräche bietet. Deutsche Militäreinsätze sind eine ethische Herausforderung, der es zu begegnen gilt. Ausführlich geht Rink auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr ein, um im Schlusskapitel „Zukunftsfragen“ (246–279) zu stellen, die sich an protestantischer Ethik orientieren. Dabei geht es um eher konkrete Themen der Militärseelsorge (Vereinbarkeit von Familie und Dienst, jüdische und muslimische Militärseelsorge), aber auch um Kriege der Zukunft und um eine zeitgemäße Friedens- und Militärethik.

Thomas Eggensperger OP, Berlin – Münster