Editorial

Washington D.C. im Jahr 2054: In der US-amerikanischen Hauptstadt gehören Morde der Vergangenheit an. Möglich geworden ist die traumhafte Situation, weil die Abteilung „Precrime“ der Polizei alle potentiellen Verbrecher aufzuspüren in der Lage ist, bevor diese ihre Taten begehen können. Geschildert wird dies in dem US-amerikanischen Science-Fiction-Thriller „Minority Report“ aus dem Jahr 2002 (Regie: Steven Spielberg). Im Verlauf des Films wird jedoch bald schon deutlich, dass die Utopie eines verbrechensfreien Zusammenlebens mit dem massiven Verlust persönlicher Freiheit erkauft ist. Die realisierte Utopie mutiert zur höchst beunruhigenden Dystopie …

Unsere „Wort und Antwort“-Ausgabe verhandelt unter dem selbstredend ironisch auftretenden Obertitel „Wünsch dir was!“ die von Spielberg filmisch inszenierte Doppelgesichtigkeit von utopischen bzw. dystopischen Sehnsuchtsbildern und ­Gesellschaftsentwürfen in verschiedenen Hinsichten: Nach einer begriffspoli­tischen Bestimmung von Utopie und Dystopie durch Gregor Naumann OP (Vechta) ­fokussiert Dieter Funke (Düsseldorf) das Thema psychologisch im Blick auf die Ausbildung lebensnotwendiger Polaritätstoleranzfähigkeiten. Sonja Rupp (Mannheim) erkundet am Beispiel von Saša Stanišić’ Roman „Vor dem Fest“ die Utopie-generierende Rolle von (fiktiven) Alltagsheld*innen. Bernd Hagenkord SJ (München) diagnostiziert der katholischen Kirche: Weder echte Dystopien noch echte Utopien gebe es da. Ob der „Synodale Weg“ das Ruder rumreißen wird können, bliebt offen. Thomas Eggensperger OP (Berlin) und Angel Méndez Montoya OPL (Ciudad de México) widmen ihre Beiträge den Konsequenzen von COVID-19. Während der eine das dystopische Moment des (eigentlich utopisch aufgeladenen) Reisens in Zeiten von Corona untersucht, zeigt der andere, welche verheerenden Auswirkungen die Pandemie im Zusammenspiel mit kolonialistischen und heteropatriarchalen Konstellationen vor allem auf arme, unerwünschte oder queere Körper hat. In der Rubrik „Dominikanische Gestalt“ stellt Norbert Schmeiser (Freiburg/Br.) die beeindruckende Biographie des italienischen Journalisten und Politikers Igino Giordani OPL (1894–1980) vor. Javier Martínez Contreras (Bilbao) präsentiert abschließend eine Relecture der ersten Seiten von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“, eines Werks, das vielen Intellektuellengenerationen als Inbegriff utopischen Denkens galt.

Lucas Leonhard Wieshuber OP (Wien) und Jan Niklas Collet (Köln) danken wir sehr herzlich für ihre nicht immer leichte Übersetzertätigkeit.

Ulrich Engel OP