Stichwort

Das gemeinsame Haus der Schöpfung

Die Schöpfung als gemeinsames Haus – diese Aussage geht auf Papst Franziskus zurück, der sie als Untertitel für seine Enzyklika Laudato si’1 wählte. Aber ist die Schöpfung wirklich ein gemeinsames Haus, um das sich der Mensch sorgt, oder sieht er sich eher als Herrscher und Nutznießer der Schöpfung? Welche Aufgabe und Verantwortung werden dem Menschen in diesem gemeinsamen Haus von Gott übertragen? Antworten darauf sind in der Heiligen Schrift zu finden, gleich zu Beginn in der ersten Schöpfungserzählung (Gen 1,1–2,3).

Die Erschaffung und Beauftragung des Menschen

Am sechsten von sieben Schöpfungstagen ist es soweit: nach Tag und Nacht (1. Tag); Himmel (2. Tag); Land, Meer, Fruchtbäumen und Gewächs (3. Tag); den beiden großen Lichtern – Sonne und Mond, die aber noch nicht so benannt werden – und den Sternen (4. Tag); den Tieren des Wassers und der Luft (5. Tag) werden die Tiere des Landes und der Mensch erschaffen, bevor Gott am siebten Tag sein Werk vollendet und ruht. Der sechste Tag sticht heraus, denn hier erfolgt mit acht Versen die längste Beschreibung, und der Mensch erhält im Unterschied zu den anderen Schöpfungswerken explizit einen Auftrag von Gott, den sog. „Herrschaftsauftrag“ über die gesamte Schöpfung. Aber was beinhaltet und bedeutet dieser Auftrag?

In Gen 1,26–28 heißt es: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten (Hebräisch: radah) über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie (kavasch) und waltet (radah) über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“2

Die revidierte Einheitsübersetzung (2016) hat bei diesen Versen positive Veränderungen vorgenommen: So wird radah mit „walten“ und nicht mehr mit „herrschen“ übersetzt und der Dativ „euch“ wird bei dem Imperativ „unterwerft sie“ (kavaschah) weggelassen, zumal er auch im hebräischen Text nicht auftaucht.3 Diese beiden Änderungen machen deutlich, dass der sog. „Herrschaftsauftrag“ des Menschen gewaltfreier gemeint ist als bisher angenommen und durch verschiedene Übersetzungen4 und die Tradition propagiert wurde. Nutznießer*in des Dienstes der Menschen ist nicht allein der Mensch, sondern die gesamte Schöpfung.

Lange Zeit galten diese Verse als Legitimation für die teilweise brutale Herrschaftsausübung des Menschen über die Schöpfung. Seit Mitte der 1970er-Jahre haben Exegeten wie z. B. Norbert Lohfink5 und Erich Zenger6 darauf hingewiesen, dass diese Verse differenzierter betrachtet werden müssen. Ein Schlüssel für das Verständnis ist die Übersetzung und Bedeutung einiger hebräischer Wörter. Sie beschreiben zum einen die Funktion des Menschen in der Schöpfung (selem, demut) und zum anderen den Auftrag Gottes an den Menschen (radah, kavasch).

Der Mensch wird von Gott geschaffen als dessen Ebenbild (selem) und Gleichnis (demut). Das Wort „als“ macht deutlich, dass es sich hierbei um eine Funktionsaussage und nicht um eine reine Beziehungsbeschreibung zwischen Gott und Mensch handelt. Es steht vielmehr im Vordergrund, dass die Beziehung des Menschen zur Erde und zu den anderen Geschöpfen gottgewollt ist. Der Mensch soll sich gegenüber der Schöpfung nach bestem Wissen und Gewissen so verhalten, wie Gott es tun würde. Dies soll der Maßstab sein, auch wenn der Mensch nicht Gott ist, sondern dessen Stellvertreter.

Aufschlussreich ist hier der altorientalische Hintergrund: In Ägypten und Mesopotamien war der König das Abbild des Schöpfergottes auf Erden und seine Aufgabe war der Schutz der Lebensordnung gegen Feinde sowohl von außen als auch von innen. Besondere Aufmerksamkeit erhielten dabei die Schwachen und an den Rand Gedrängten. Der König ist mit einem Hirten vergleichbar, der seine Herde führt, leitet und beschützt. Das Proprium des alttestamentlichen Textes ist, dass der Mensch nicht wegen besonderer Aufgaben, wie z. B. seines ‚König-Seins‘, Bild Gottes ist, sondern schlicht und einfach, weil er Mensch ist. Außerdem werden nicht nur der König, sondern alle Menschen als Bild Gottes bezeichnet.7 „Der Schöpfergott befähigt (‚Bild Gottes‘) und beauftragt (‚seid Hirten‘) die Menschen, an seiner Stelle das Hirtenamt zum Schutz und zur Förderung des Lebens auszuüben.“8

Die beiden Verben „walten“ (radah) und „unterwerfen“ (kavasch) sind zwar Ausdruck einer Herrschaft, aber wohl eher einer Vorherrschaft des Menschen über die Tiere als einer ausbeuterischen Herrschaft. Der Mensch erhält den Auftrag, „die Vorherrschaft über die Tiere zu erringen und auszuüben, um so den mit den Tieren gemeinsam genutzten Lebensraum Erde als einen bewohnbaren Lebensraum zu erschließen und für sich zu nutzen. Der Herrschaftsauftrag legitimiert also keinesfalls die schrankenlose Ausbeutung der Natur.“9

Doch wie soll der Mensch diesen Auftrag Gottes ausführen? Darüber gibt das Buch der Weisheit Aufschluss: „Den Menschen hast du durch deine Weisheit bereitet, damit er über deine Geschöpfe herrscht. Er soll die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten und Gericht halten in rechter Gesinnung.“ (Weish 9,2–3)

„Der Mensch wird seinem Herrschaftsauftrag nur gerecht, wenn er die Herrschaft so ausübt, wie Gott es tut: in Heiligkeit und Gerechtigkeit. Genau diese Dimension ist aber implizit bereits in Gen 1,26–28 angelegt. Als ‚Statue Gottes‘ wird der Mensch beauftragt, über die Schöpfung zu herrschen.“10 Eine Gewaltherrschaft und Ausbeutung der Schöpfung ist also nicht im Sinne Gottes, der seine Schöpfung als gut angesehen und gesegnet hat.

Mensch und Tier – ein asymmetrisches Verhältnis?

Es wird aber auch deutlich, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in der Schöpfungsordnung als asymmetrisch angelegt ist, denn „nur“ der Mensch wurde als Bild Gottes geschaffen. Dies rechtfertigt aber weder Gewalt noch Ausbeutung. In der zweiten Schöpfungserzählung (Gen 2,4–25) wird dieses Verhältnis näher beschrieben. Dort heißt es: „Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist. Gott, der Herr, formte aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte sein Name sein. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen ebenbürtig war, fand er nicht.“ (Gen 2,18–20)

Die Tiere sollen dem Menschen als Hilfe dienen, auch wenn sie ihm nicht ebenbürtig sind. Außerdem gibt der Mensch den Tieren einen Namen. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist positiv und friedlich angelegt, auch wenn die Namensgebung unter Umständen als Herrschaftsausübung angesehen werden kann. Diese positive Beziehung wird in Gen 3,14 f. durch die Konsequenz Gottes für das Fehlverhalten der Schlange beeinträchtigt: „Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ (Gen 3,15)

Aber nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und Tier wird in Gen 3 getrübt, sondern auch diejenige zwischen Gott und Mensch. Der Mensch wird als Folge seines Verhaltens aus dem Garten Eden vertrieben. In der Urgeschichte (Gen 1–11) soll dies aber nicht seine einzige Verfehlung und Störung seiner Gottesbeziehung bleiben: In Gen 4 folgt der Brudermord, in Gen 6–9 die Sintflut als Folge des Fehlverhaltens und in Gen 11 der Turmbau zu Babel. Immer geht es darum, dass der Mensch seine Herrschaft ausweiten und vergrößern will, anstatt sich mit dem zu begnügen, was ihm zugedacht ist.

Die Schöpfung ist von Gott als gemeinsames Haus bzw. gemeinsamer Lebensraum angelegt. Dies wird neben Gen 1–2 vor allem in Ps 104 deutlich. Die Schöpfung ist in verschiedene Bereiche eingeteilt, zu denen der Mensch nur eingeschränkt Zugang hat. So sind der Bereich „zwischen den Bergen“ (V10–12) und die „JHWH-Bäume“ sowie die „hohen Berge“ (V16–18) den Tieren vorbehalten. Das kultivierbare Bergland (V13–15) teilen sich Mensch und Tier, wobei der Mensch es nur tagsüber nutzen kann (V20–23). Auch das Meer scheidet als Lebensraum für den Menschen aus und bleibt den Tieren vorbehalten (V25 f.). Außerdem wird deutlich, dass Mensch und Tier auf den lebensspendenden Gott angewiesen sind (V27–30). Von einer Vorrangstellung des Menschen ist hier nichts zu spüren.11

Die Schöpfungsordnung in Zeiten von Corona

Vielleicht führt uns gerade die Corona-Pandemie an den Ursprungsgedanken der Schöpfung zurück. Der Mensch erkennt, dass er, obwohl er viel planen und scheinbar beherrschen kann, an seine Grenzen geführt wird. Manchmal habe ich schon gedacht: „Wie gut, dass doch nicht alles in unserer Hand liegt.“ – Natürlich erst, nachdem ich mich darüber geärgert habe, dass z. B. der Zug Verspätung hat und damit meinen Plänen ein Strich durch die Rechnung gemacht wird. Die Corona-Pandemie führt uns dies in einem viel größeren Ausmaß vor Augen. Und wie reagiert der Mensch darauf? Er zeigt Solidarität und Sorge gegenüber anderen und muss sich gezwungenermaßen in seinen Wünschen und Bedürfnissen zurücknehmen. Vieles ist unsicher und unplanbar geworden. Es liegt nicht mehr in der Hand des Menschen, und das ist für manche ein neues Gefühl.

Die erzwungenen Verhaltensänderungen haben aber auch positive Auswirkungen: Sie führen zur Entschleunigung der Gesellschaft sowie zur Erholung und Regeneration der Natur bzw. der Schöpfung. Das Wasser in Venedig wird auf einmal klarer, Menschen können den Himalaya aus 200 Kilometer Entfernung sehen, der Himmel über Frankfurt ist so blau wie schon lange nicht mehr. Diese Reihe lässt sich noch weiter ergänzen. Auch die Klima-Ziele scheinen plötzlich wieder erreichbar. Vielleicht führt die Corona-Pandemie die Menschen dazu, ihr Verhalten zu ändern und den Gedanken des „immer höher, schneller, weiter“ nicht mehr in den Vordergrund zu stellen, sondern sich vielmehr die Solidarität mit und die Sorge um die Um- und Mitwelt zu bewahren, so wie es in der Schöpfung Gottes angelegt ist: nicht als gewalttätige Herrschaft, sondern als ein sorgsames Walten, ähnlich der Friedensvision des Jesaja (Jes 11,1–9). Dann weiden Kalb und Löwe zusammen und werden von einem kleinen Jungen geleitet, das Kind spielt vor dem Schlupfloch der Natter und streckt seine Hand danach aus, ohne dass ihnen etwas passiert. Es wäre schön, wenn der Mensch seinen Beitrag dazu leistet.

Fußnoten

01 Vgl. Papst Franziskus, Laudato si’. Enzyklika über die Sorge für das gemeinsame Haus, Vatikanstadt 2015.

02 Leider sind in der ersten Auflage und ebenso in der App Teile dieses Verses anders übersetzt. Statt „unterwerft sie“ heißt es „unterwerft sie euch“ und statt „walten“ „herrschen“, wie in der Einheitsübersetzung (1980). In den späteren Auflagen wurde dies verändert.

03 „Unterwerfen“ ist im Deutschen ein reflexives Verb, das eigentlich einen Dativ erfordert.

04 Die revidierte Lutherbibel (2017) übersetzt radah weiterhin mit „herrschen“ und fügt bei der Übersetzung von kavaschah („unterwerft sie“) den Dativ „euch“ hinzu.

05 Vgl. N. Lohfink, ‚Macht euch die Erde untertan‘?, in: Orientierung, Nr. 12/13, 38 (1974), 137–142.

06 Vgl. E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (Stuttgarter Bibelstudien Bd. 112), Stuttgart 1983.

07 Vgl. K. Löhning/E. Zenger, Als Anfang schuf Gott. Biblische Schöpfungstheologien, Düsseldorf 1997, 146–148.

08 Zenger, Gottes Bogen, a.a.O., 95.

09 J. Wöhrle, dominum terrae. Exegetische und religionsgeschichtliche Überlegungen zum Herrschaftsauftrag in Gen 1,26–28, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 121,2 (2009), 171–188, hier 187.

10 L. Schwienhorst-Schönberger, ‚Die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten‘. Zur Auslegung von Gen 1,26–28 in Weish 9,1–3, in: St. Fischer/M. Grohmann (Hrsg.), Weisheit und Schöpfung. Festschrift für James Alfred Loader zum 65. Geburtstag (Wiener alttestamentliche Studien Bd. 7), Frankfurt/M. 2010, 211–229, hier 225.

11 Vgl. Ch. Uehlinger, Vom dominium terrae zu einem Ethos der Selbstbeschränkung? Alttestamentliche Einsprüche gegen einen tyrannischen Umgang mit der Schöpfung, in: Bibel und Liturgie 64,2 (1991), 59–74, hier 66.

Der Autor

Dr. theol. Johannes Roth OFM (johannes.roth@franziskaner.de), geb. 1982 in Limburg/Lahn, Pastoraler Mitarbeiter, Redakteur der Zeitschrift „Franziskaner“ und Vizekommissar des Heiligen Landes. Anschrift: Friedrich-Ebert-Str. 34, D-68167 Mannheim. Veröffentlichung u. a.: Die Bibel – ein Buch des Lebens, in: Franziskaner, Frühjahr 2020, 6–13.