Stichwort

Theologie der Religionen

Die Theologie der Religionen ist eine junge Disziplin und kann in ihrer Entstehung mit dem Wandel des Faches in Verbindung gebracht werden, dem sie häufig zugeordnet wird: der Fundamentaltheologie.1 Der Wandel der Letzteren von der Apologetik zu ihrer heutigen Ausformung (als wissenschaftstheoretische Grundlegung der Theologie) bringt auch veränderte Wahrnehmungen anderer Religionen mit sich, die in der Theologie der Religionen reflektiert werden. Sie rezipiert anderweitige Beschäftigungen mit Religion (z. B. der Ethnologie, Religionswissenschaft und -philosophie), wirft aber über deren Horizont hinaus die Frage auf, welche Heilsbedeutung andere Religionen im Licht der Christus-Offenbarung haben können und welcher Wahrheitsanspruch ihnen zuzugestehen ist.

Geschichte

Die Theologie der Religionen kann, obwohl als Fach jüngeren Datums, auf eine lange Tradition zurückgreifen, die bis in die apologetischen Ursprünge christlicher Theologie reicht, deren Grundlage sich in 1 Petr 3,15–16 findet: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen (πρὸς ἀπολογίαν [zur Verteidigung]), der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen. Dann werden die, die euch beschimpfen, weil ihr in Christus ein rechtschaffenes Leben führt, sich wegen ihrer Verleumdungen schämen müssen.“

So können gerade in der Zeit vor der sog. „Konstantinischen Wende“ schon Ansätze ausgemacht werden, die sich mit den Ansprüchen anderer Religionen auseinandersetzen. Als berühmtes Beispiel sei hier Justin der Märtyrer angeführt, der sich mit den beiden Religionen auseinandersetzte, zu denen sich das Christentum in der Antike notwendigerweise in Beziehung setzen musste: dem Judentum (im „Dialog mit dem Juden Tryphon“) und dem Heidentum (in den „Apologien“ 1/2). In beiden Schriften wird die mit der Heilsfrage verbundene Wahrheitsfrage angesichts konkurrierender, aber (in Justins Sicht) auch komplementärer Entwürfe gestellt.

Im Mittelalter tritt die Beschäftigung mit dem Islam hinzu, wobei schon der erste große christliche Apologet, Johannes von Damaskus, die Religionsfrage aufwirft: Für ihn handelt es sich beim Islam nicht um eine eigenständige Religion, sondern um eine christliche Sekte („De haeresibus“, Kap. 100).

In der Neuzeit sind es vor allem die aufgrund der europäischen Entdeckungen und Eroberungen ermöglichten Begegnungen mit bisher unbekannten Religionen, die das Feld der Reflexion über Religion noch einmal erweitern. Aufgrund der einsetzenden Missionsaktivitäten in Indien, China und Amerika stellt sich die Frage, wie es um das Verhältnis von Religion und Kultur steht. Auch wenn sich das Augenmerk in erster Linie auf die Verkündigung richtet, so steigt doch mit der Zeit auch das Interesse an der Wahrnehmung des Eigenstands anderer Religionen – wenn schon nicht in ihrem Beitrag zur Wahrheits- und Heilsfrage, so doch an ihrer kulturellen Produktivität.

Die Gräuel, die im 20. Jahrhundert am jüdischen Volk verübt wurden, sind der Auslöser dafür, dass sich die katholische Kirche mit ihrem Verhältnis zum Judentum und zu allen weiteren nichtchristlichen Religionen auseinandersetzt. Diese Verhältnisbestimmung findet ihren lehramtlichen Niederschlag in den Dokumenten des II. Vatikanums, wobei hier vor allem die Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate (NA) hervorzuheben ist. Religionen werden als „Lehren und Lebensregeln sowie auch heilige Riten“ definiert, deren anthropologische Funktion entsprechende Würdigung findet. Darüber hinaus wird auch eine theologische Anerkennung formuliert: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (NA 2). Wie diese Anerkennung sich konkretisiert, zeigen dann NA 3 für den Islam und NA 4 für das Judentum, wobei die besondere religionstheologische Beziehung zu letzterem aufgrund des gemeinsamen Erbes betont wird. Was auch das 16. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, Lumen gentium (LG), unterstreicht: Die Beziehungen der katholischen Kirche zu den verschiedenen Religionen sind abgestuft, das besondere Verhältnis einzelner Religionen wird hervorgehoben (Judentum, Islam).2

Aus dieser geschichtlichen Spurensuche lassen sich auch die Themen ersehen, die eine besondere Rolle spielen: Kirche, Religionen, Dialog.

Themen

Die drei hier angesprochenen Themen der Theologie der Religionen werden zwar separat behandelt, sind aber immer aufeinander verwiesen.3 Die Kirche ist in gewisser Weise Teil der Welt der Religionen, grenzt sich jedoch zugleich auch von ihr ab, was jedoch nicht Abschottung bedeutet: Das kirchliche Bekenntnis eines Gottes und einer Menschheit lässt angesichts der religiösen Vielfalt der letzteren die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs hervortreten.

Kirche – Die Kirche erhebt den Anspruch, Gründung Gottes zu sein (LG 2–4). Dieser Anspruch wird auch heute von ihr vertreten, allerdings immer eingedenk der geschichtlichen Schuld, die Christen bei der Erhebung dieses Anspruchs auf sich geladen haben. Der Anspruch entsteht aus der Teilhabe an Christus, als dessen mystischer Leib sich die Kirche versteht. Sein Weg der Heilsteilgabe, die Entäußerung in Armut und Verfolgung, soll auch der Weg der Kirche sein (LG 8). Der Anspruch kommt in Formulierungen zum Ausdruck, die im Hinblick auf eine Theologie der Religionen zu bedenken sind:

  • Katholizität der Kirche: In ihrem Anspruch, „universal“ zu sein, ist sie herausgefordert, „sich über die schon bekannte Gestalt hinaus in eine größere Weite und Fülle hinein dehnen zu lassen. Die Impulse dazu gehen von den Religionen und Kulturen aus, denen die Kirche begegnet.“4

  • Kirche als „wahre Religion“ (vera religio): Dieser Anspruch steht in Spannung mit der Anerkennung anderer Religionen, verweist jedoch gleichzeitig darauf, dass der Glaube an Gott auch die Frage der Erkenntnis der Wahrheit impliziert – einer Wahrheit, die aufgrund ihres göttlichen Ursprungs einer menschlichen Inbesitznahme entzogen bleibt, von der die Kirche dennoch im Dialog zeugt.

  • „Außerhalb der Kirche kein Heil“ (extra ecclesiam nulla salus): Neben der Wahrheitsfrage ist es die Heilsfrage, die es in einer Theologie der Religionen zu stellen gilt. Diese Formulierung kann in der Linie des II. Vatikanums nicht (mehr) in einem ausschließenden, sondern allein in einem einschließenden Sinn verstanden werden, da sich „Elemente wahrer Kirchlichkeit (…) auch in den anderen Kirchen und Religionen“ finden.5

Religionen – Was sind eigentlich Religionen und was macht sie im Einzelnen aus? Auf diese Frage kann eine katholische Theologie der Religionen nicht allein antworten, da dadurch ein verzerrtes Bild der Anderen entstehen könnte, was ihnen nicht gerecht wird. Vielmehr bedarf es einer Vergewisserung darüber, wie sich Angehörige anderer Religionen selber verstehen (anhand ihrer heiligen Schriften und Riten sowie der dazugehörigen Interpretationen). Die Vergewisserung kann und muss bisweilen auch auf die Ergebnisse der Ethnologie und Religionswissenschaft zurückgreifen, um ein möglichst unverstelltes Bild des Anderen zu gewinnen. Doch macht die Theologie der Religionen nach einem gewissenhaften religionsphänomenologischen Vorgehen noch einen zweiten Schritt, der sie von den nichtkonfessionellen Disziplinen unterscheidet: Sie setzt die anderen Religionen in Beziehung zu Kirche und Christus, wobei die Qualität dieser Beziehung jeweils unterschiedlich ist. Judentum und Islam stehen aufgrund ihres Monotheismus und weiterer Gemeinsamkeiten dem Christentum näher als beispielsweise der Shintoismus, was eine Theologie der Religionen auch zu berücksichtigen hat. Die Frage, was in den anderen Religionen aus kirchlicher Perspektive wahr und heilig ist, wird an dieser Stelle wichtig. Oder: Was sind die Kriterien für die Anerkennung einer Religion und deren Beurteilung seitens der Kirche?6

Dialog – Dem Dialog lassen sich in der Theologie der Religionen zwei Funktionen zuweisen: eine heuristische und eine theologische. Im ersten Fall dient der Dialog der Information: Was sagen Angehörige anderer Religionen über sich selbst? Im zweiten Fall wird die normative Dimension des Religionsdialogs deutlich: Die Gesprächspartner werden als in ihrem jeweiligen Glauben freie Menschen auf der Suche nach Wahrheit und Heil ernst- und angenommen, ohne jedoch die christliche Antwort zu verschweigen. Gerade diese zweite Funktion legt offen, inwieweit der Dialog als theologisches Konzept überhaupt verwirklicht werden kann. Haben die Gesprächspartner eine Sicht auf den konkreten Menschen, auf sich selbst und ihre Gegenüber, die ihnen Freiheit und wahrheitssuchende Vernunft konzediert – was die christliche Theologie mit dem Begriff „Person“ verbindet?7 Der Dialog wird in dieser Hinsicht zum wichtigsten Prüfstein dafür, wie es um das Verhältnis von Kirche und Religionen tatsächlich bestellt ist: Eine Theologie der Religionen ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie sich nicht im Ernstfall, d. h. im konkreten theologischen Gespräch von Christen mit Angehörigen anderer Religionen, bewährt.8

Fußnoten

01 Dieser Beitrag beleuchtet die Theologie der Religionen in erster Linie aus der Perspektive der katholischen Theologie, mit kleinen Ausflügen in die evangelische Schwesterdisziplin.

02 Vgl. auch die offiziellen Dokumente von EKD und ÖRK: Ökumenischer Rat der Kirchen, Ökumenische Erwägungen zum Dialog und zu den Beziehungen mit Menschen anderer Religionen, Genf 2002; EKD, Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen, Hannover 2003.

03 Bei der Entwicklung der Themen greife ich auf folgendes Buch zurück: W. Löser, Bausteine für eine Theologie der Religionen. Blicke und Schritte über die Grenzen, Würzburg 2016, v. a. 131–182.

04 Ebd., 137.

05 Ebd., 143. Also eher ein sine ecclesia nulla salus, vgl. M. Ruokanen, The Catholic doctrine of non-Christian religions. According to the Second Vatican Council, Leiden 1992, 20.

06 Der evangelische Theologe Reinhold Bernhardt schlägt z. B. „die Polarität von Freiheit und Liebe“ als „Doppelkriterium zur Beurteilung religiöser Phänomene“ vor. Vgl. R. Bernhardt, Die Polarität von Freiheit und Liebe. Überlegungen zur interreligiösen Urteilsbildung aus dogmatischer Perspektive, in: ders./P. Schmidt-Leukel (Hrsg.), Kriterien interreligiöser Urteilsbildung (Beiträge zu einer Theologie der Religionen Bd. 1), Zürich 2005, 71–101.

07 Vgl. dazu Internationale Theologenkommission, Das Christentum und die Religionen. 30. September 1996. Hrsg. von dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1996 (Arbeitshilfen 136), Nr. 110.

08 Darauf weist auch der evangelische Theologe Henning Wrogemann hin, vgl. H. Wrogemann, Theologie Interreligiöser Beziehungen. Religionstheologische Denkwege, kulturwissenschaftliche Anfragen und ein methodischer Neuansatz (Lehrbuch Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft Bd. 3), Gütersloh 2015.

Der Autor

Dr. theol. Markus Kneer, M.A. (markuskneer@gmx.de), geb. 1972 in Lennestadt, Lehrbeauftragter für Islam an der PTH Münster und Pastor. Anschrift: Eintrachtstraße 17, D-58239 Schwerte. Veröffentlichung u. a.: Mohamed Aziz Lahbabi, Freiheit oder Befreiung? Ein kritischer Versuch über die Freiheit bei Henri Bergson. Übersetzt, ergänzt und kommentiert von Markus Kneer (Islamkundliche Untersuchungen Bd. 334), Berlin 2018.

Wort und Antwort 59 ( 2018), 50–53 | DOI 10.14623/wua.2018.2.50-53