Richard Glöckner, Meister Eckhart – Philosoph und ­Mystiker des Christentums. Aus den deutschsprachigen Predigten und Traktaten. Texte und Interpretationen, Lit Verlag Berlin 2018, 179 S., € 29,90.

Der Neutestamentler R. Glöckner OP (Leipzig) legt mit diesem Buch eine Studie zu den deutschen Predigten und Traktaten Meister Eckharts vor. Hermeneutisch orientiert er sich u.a. am Ansatz von Kurt Flasch, der von einem Philosophen Eckhart ausgeht, der sich auf theologischer Ebene von dogmatisch-lehramtlich geprägten Traditionen distanzierte und bei Eckhart eine „neue Konzeption des Christentums“ sieht. Glöckner nimmt das auf und meint: „[…] man kann auch sagen: es ging und geht um eine andere, neue Kultur des Christentums“ (20). Die artikuliert sich für ihn bei Eckhart in einer anderen Gedanken- und Sprachwelt. „Sie repräsentiert ein Gottesbild, in dem die traditionell vorherrschenden Gottesattribute wie Herrschaft und Allmacht nicht hervortreten und bestimmend sind. Insgesamt fehlt bei Eckhart durchgehend das auf Gottes Autorität und Dominanz bezogene christliche Vokabular.“ (100)

Teil I ist überschrieben mit „Das Heil des Menschen – nicht gebunden an eine bestimmte Geschichte“ (23–34). Hier vertieft Glöckner seinen Ansatz: Selbst wenn Eckhart seine Predigten in der Regel von einem Schriftwort ausgehen lässt, geht es im weiteren Verlauf der Exhortation um Darlegungen der Begegnung des Menschen mit Gott in einem umfassend geistig-religiösen Raum, jenseits historischer Einbindungen und Einschränkungen. Auch wenn Eckhart gerne von der Geburt des Gottessohns durch den Vater in der Seele des Menschen spricht, vermeidet er die dogmatische Erhöhung Jesu zum metaphysischen Gottessohn und alleinigen Heilsvermittler. Die Person Jesu erscheint als Richtmaß des Glaubens, „als Ziel, dem wir nachfolgen sollen und unser Maß, unter dem wir bleiben und mit dem wir vereinigt werden sollen.“ (120) Eckhart bezeichnet ihn als „Boten von Gott, der uns unsere Seligkeit zugetragen hat“ (132). Er ist die Verkörperung der Liebe Gottes zu allen ­Menschen.

Teil II (35-171) geht ein auf „Themen der Verkündigung Eckharts“. In 13 Kapiteln zeigt der Autor anhand zentraler Begriffe oder Motive in den Predigten und Traktaten Eckharts, wie der mittelalterliche Denker mit wichtigen Themen wie Gottesgeburt, ­Erstursache, Seele, Schöpfung und menschliches ­Leben umgeht. Dabei wird in der Interpretation einiger Predigten (z. B. der Predigten 2, 68, 82) besonders deutlich, dass Eckharts Gottesbild nicht nur von ­philosophisch-gedankliche Offenheit und Weite geprägt ist, sondern auch in einer ergreifend eindrucksvoll angedeuteten religiös-mystischen Tiefe verwurzelt ist. Vor diesem Hintergrund macht Glöckner deutlich, dass Eckhart letztlich in allen seinen Predigten von einer Wahrheit spricht, die unmittelbar aus dem Herzen Gottes stammt und die nur mit dem Herzen aufgenommen und verstanden werden kann. Eckharts Faszination liegt darin, dass er als Philosoph und Mystiker wahrgenommen wird. Nicht zufällig weitet sich hier der Blick auch immer wieder auf die Spiritualität östlicher Traditionen, wie den Buddhismus und seine Lehre vom Nirvana.

Am Ende fasst der Autor zusammen: „Eckharts ­Darlegungen und Visionen blieben und bleiben nach außen hin eine Utopie. Aber sie vermitteln immer wieder neu Impulse zu persönlicher geistiger Besinnung und religiöser Orientierung.“ (171)

Glöckners Buch ist tatsächlich eine interessante ­Relecture der deutschsprachigen Predigten und Traktate Meister Eckharts, die zum einen das Utopische und zum anderen das Originelle am Ansatz des ­dominikanischen Gelehrten skizziert.

Thomas Eggensperger OP, Berlin – Münster