Uwe Kolbe, Psalmen, S. Fischer Verlag Frankfurt/M. 2017, 76 S., € 16,–.

Der in Dresden lebende, vielfach ausgezeichnete Lyriker U. Kolbe hat sich mit seinem schmalen und – das sei vorweg schon gesagt – lesenswerten Büchlein in eine große Tradition eingeschrieben. Der biblische Psalter, eine Sammlung von 150 Liedern, Gebeten und Gedichten ganz unterschiedlicher Herkunft und Zeit, ist das Dokument einer langen Geschichte von Glauben, Zweifeln und Beten. Der Münsteraner Exeget Erich Zenger (1939-2010) hat die ersttestamentliche Textzusammenstellung als ein „Gebets-, Lese- und Lebensbuch Israels und der Kirche“ charakterisiert, das in der „Vielgestaltigkeit der sprachlichen Bilder und Formen […] Spiegel der Vielschichtigkeit der Lebenssituationen“ sei (E. Zenger, Das Buch der Psalmen. Eine Einführung, in: U. Fischer u.a. [Hrsg.], Mit der Bibel durch das Jahr 2005. Ökumenische Bibelauslegungen, Stuttgart 2005). Genau diesen Zusammenhang zwischen Gebet und Leben aktualisiert Kolbe für heute, wenn er seine Psalmen in ein Spannungsfeld zwischen Profanem und Erhabenen, zwischen Verzweiflung und Hoffnung einschreibt. Zwei Beispiele: „KEINE // Sie tragen keine Namen, sind Gesandte nicht. / Sie kommen her, und sie verweigern sich. / Es steht die Freiheit ihnen im Gesicht. / Ihr namenloses Schweigen foltert mich.“ (58) – „AN DICH // Du hast mich gemacht, du kannst mich zerstören. / Du hast mich aufgemacht, du kannst mich wieder schließen. / Es gibt nichts zu murren, nicht, dass du das meinst. / Lass nur den Weg mich, der noch bleibt, an deiner Hand zu Ende gehen.“ (72) In all seinen Texten ist es Kolbe um das Leben im Hier und Jetzt und in seiner ganzen Fülle zu tun: um Liebe und die Schönheit der Natur, um die Kunst, aber auch um Leere, Einsamkeit und Tod. Kein Vers ist hier von der sicheren Seite gesprochen. Das unterscheidet Kolbes Gedichte vom Gottvertrauen, das – bei allem Gottvermissen – die Verfasser der ersttestamentlichen Theopoetik letztlich dauerhaft und zuverlässig trug. Vor diesem Hintergrund ist Kolbe ein radikal moderner Psalmist.

Ulrich Engel OP, Berlin – Münster