Editorial

Was vorkonziliar mit Aktivisten wie dem (stark von Dominikanern beeinflussten) kolumbianischen Priester und Guerillero Camillo Torres (1929-1966) begann und mit dem „Katakombenpakt“ 1965 erstmals einen Teil der katholischen Hierarchie herausforderte, wurde mit der Neubestimmung des Kirche-Welt-Verhältnis im Vaticanum II auf eine kirchlich breite Basis gestellt: die Option für die Armen. Die erste Reise eines Papstes nach Lateinamerika 1968 (unser Titelbild zeigt Paul VI. beim Besuch eines Armenviertels in Bogotá,), die zweite Vollversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) in Medellín, Kolumbien, im selben Jahr, die von Gustavo Gutiérrez 1971 vorgelegte Publikation „Teología de la liberación“, die zum namensgebenden Referenzwerk werden sollte – all diese Ereignisse markieren den Weg, welchen der Ansatz einer befreienden Theologie genommen hat (vgl. die Beiträge von Jan Nikals Collet, Guillermo Fernández Berret OP und Marcela Ahumada Soto OP). Zugleich mussten sich die Vertreter*innen der Befreiungstheologie vieler Widerstände seitens der kirchlichen Hierarchie erwehren; erinnert sei an die zweifache Verurteilungen der Theologie der Befreiung durch den Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Josef Ratzinger, 1984 und 1986, an die römischen Maßregelungen einzelner Theologen wie z. B. die des Brasilianers Leonardo Boff OFM 1985 und 1991 und die ganzer Gruppen (vgl. den Beitrag von Ulrich Engel OP).

Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nach diesen Ereignissen, ist es kaum noch möglich, von befreiender Theologie im Singular zu sprechen: Befreiungstheologien aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten werden auch in Europa mehr und mehr wahrgenommen (vgl. die Beiträge von Volker Küster, Timothée Bouba Mbima und Kacem Gharbi). Zugleich zeigt sich in diesen eine Erweiterung des ehemals römisch-katholischen Charakters der Theologie der Befreiung auf protestantische Kirchen hin. Neben solchen regional ausdifferenzierten Theologien wären weitere Ansätze wie die „Theologie des Volkes“ (von der sich Papst Franziskus maßgeblich geprägt zeigt), die U.S. Latino/a Theology (auch U.S. Hispanic Theology genannt) oder postkoloniale Theologien zu behandeln.

Angesichts des alles beherrschenden globalen Neoliberalismus’ ist die Rede von einem befreienden Gott heute mehr denn je herausgefordert (vgl. den Beitrag von Jerry [Gerhard] Pöter OP †). Unser „Wort und Antwort“-Heft stellt sich dieser Aufgabe.

Wir danken Johannes Frenz für seine Mitwirkung am vorliegenden Heft.

Ulrich Engel OP