Martin Kirschner (Hrsg.), Subversiver Messianismus. Interdisziplinäre Agamben-Lektüren (Academia Philosophical Studies Bd. 70), Academia Verlag Baden-Baden 2020, 370 S., € 74,–.

In seinem Aufsatz „Zeit und Geschichte“ (1978) formuliert der italienische Philosoph Giorgio Agamben (Venedig) eine Theorie der Zeit. In Fortführung von Walter Benjamin versteht er die Veränderung der Zeit als einen revolutionären Akt. Jenseits des griechischen, christlichen und modernen Zeitbegriffs entwickelt er eine messianisch-politische Zeittheorie, die ganz auf den kairos setzt. Konsequenzen zeitigt sein Ansatz für das Denken selbst, aber auch im Blick auf eine Lebensform, in der das natürliche Leben nicht vom sozialen Leben getrennt ist, und in der die Logik des Ausschlusses und die Gewalt der Herrschaft nicht mehr gilt. Die Texte, die in dem von M. Kirschner (Eichstätt) verantworteten Band versammelt sind, nehmen ihren Ausgang beim letzten, 2014 publizierten Teilstück des „Homo Sacer“-Projekts: „L’uso dei corpi“ (dt.: Der Gebrauch der Körper, Frankfurt/M. 2020). Dieser Band schließt das Gesamtwerk keineswegs ab, sondern präsentiert in seinem Epilog eine Theorie der „potenza destituente“ („destituierenden Kraft“, d.i. die Antithese zu einer konstituierenden Kraft), die das Denken auf eine Praxis hin zu öffnen sucht, die prioritär auf „das Verlorene, das de facto Vergessene und damit das Heterogene“ (15) fokussiert. Daniel Kazmaier (Saarbrücken) bspw. zeichnet dazu Agambens Auseinandersetzung mit Jean-Luc Nancy nach (27–55). Josef Wohlmuth (Bonn) rekonstruiert den Glaubens-Begriff in Agambens Römerbrief-Kommentar (83–107) als eine zutiefst spirituelle Reflexion. Wichtig ist der kurze Beitrag von René Dausner (Hildesheim) zum Verhältnis von Christologie und Messianismus, insofern der Verf. deutlich machen kann, dass kairos nicht schicksalhaft ist (165–179). Peter Zeillinger (Wien) insistiert mit Agamben darauf, im Zentrum des Politischen eine Leerstelle offenzuhalten, durch die „[d]as Unvereinbare“ (245) in den Gang der Geschichte einbrechen kann (245–304). Abschließend unternimmt der Herausgeber eine Relecture des „Homo Sacer“-Projekts in seiner Gänze im Licht von „L’uso dei corpi“. Spannend ist der rekonstruierte Konnex von der „Grammatik einer Lebens-Form“ (346) mit der „Kontemplation“ (355). Beide – Aktion und Kontemplation – finden zusammen in der „Virtuosität guten Lebens“ (354). Dass die Spätmoderne einer solchen messianisch-subversiv angeschärften Virtuosität guten Lebens dringend bedarf, steht außer Frage!

Ulrich Engel OP, Berlin