Tim Willmann / Amine El Maleg (Hrsg.), Sterben 2.0. (Trans-)humanistische Perspektiven zwischen Cyberspace, Mind Uploading und Kyronik, Verlag de Gruyter Berlin – Boston 2022, 246 S., € 99,95.

Der Aufsatzband versteht sich als interdisziplinäre Sammlung unterschiedlicher Perspektiven hinsichtlich Existenz, Altern und Tod im Zeitalter der Digitalisierung und technologischer Fortschritte. Er geht zurück auf eine Fachtagung der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf. Den einführenden Text verfasste der Düsseldorfer Germanist T. Willmann, Mitherausgeber des Buches, der u. a. schreibt: „Häufig wird das Bewusstsein von Sterblichkeit und Tod mit Vorstellungen wie auch immer gearteter Fortexistenz im Cyberspace, etwa in virtuellen Realitäten, verbunden“ (8). Es folgen Beiträge, die in drei Abschnitte eingeteilt sind. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der „Selbstbestimmung im Altern und Sterben“ und beinhaltet zwei Aufsätze: einen von H. Herwig (Literaturwissenschaft, Düsseldorf) zum Thema des Senizids in Gesellschaft, Literatur und im Film (33–63) – hierbei ist vor allem die ethnologisch immer wieder wahrgenommene Altentötung gemeint, bei der man nicht sicher sein kann, ob sie nicht auch in näherer Zukunft zur Kostenvermeidung mittelbar relevant werden könnte – sowie einen Text von D. Birnbacher (u. a. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben) zum Thema der Selbstbestimmung (65–79). Er zeigt, dass es einen zunehmenden Wandel vom Widerfahrnis hin zur Gestaltung des Sterbens gibt, d. h. der Patientenwille spielt eine wichtigere Rolle als das Wohl des Patienten, auf das mit lebensverlängernden Maßnahmen reagiert wird. Der Autor begrüßt die Sterbehilfe nach klaren und strengen Kriterien, wenngleich dem Rezensenten ethische Bedenken bleiben, ob Leid- und Schmerzlinderung nicht doch der Suizidbeihilfe vorzuziehen ist. Der zweite Abschnitt untersucht das Ewige Leben zwischen Selbstentgrenzung und Formen künstlicher Intelligenz. Unter diesem Titel subsumieren sich vier Beiträge. Der Volkswirtschaftler M. Lehmann-Waffenschmidt skizziert Goethes Faust als selbstoptimierenden und entgrenzenden „homo infinitus“ (83–93), dem es um die maximale Selbstbestimmung seiner Existenz geht. Der KI-Experte A. Wagener fragt hinsichtlich Künstlicher Intelligenz und Datenökonomie, ob wir uns auf dem Weg in die Cyborg-Gesellschaft befinden (95–119). Als Cyborg wird hier ein kybernetischer Organismus verstanden, d. h. quasi ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und technischem System. Eine Cyborg-Gesellschaft konstruiert konsequenterweise sowohl das soziale Miteinander als auch individuelles Leben neu, wenngleich es Aufgabe ist, diesem eine humane Prägung zu geben. Chr. und J. Klüver – ebenfalls KI-Forscher – skizzieren ein Ewiges Leben durch künstliche Intelligenz und künstliche Wissenschaften (121–137), ohne aber eine plausible Antwort zu geben, wie hinsichtlich der demografischen Populationsentwicklung zu verfahren sein müsste, wenn Leben ewig würde. L. Hartmann-Wackers (Moralphilosophie, Düsseldorf) geht auf das Problem der Digitalisierung ein, in der digitale Spuren von Menschen hinterlassen werden, die irgendwann nicht mehr am Leben sein werden (139–158). Es ist weitgehend unklar, wie mit diesen Überbleibseln zu verfahren ist. Die Autorin plädiert für eine Form der Privatheit, die als ein Geflecht verschiedenster Beziehungen und dem in ihnen bestehenden Zugang zueinander zu definieren ist. Sie ist in ihrer Vielfalt auch nach dem Tod zu schützen. Der dritte Abschnitt geht auf transhumanistische Entwürfe von Unsterblichkeit ein. Der Psychologe D. Tobinski (Duisburg) untersucht kognitive Architekturen, die zu verstehen sind als Spezifikation der „brain“-Struktur, die zu erklären versucht, wie die Funktion von „mind“ erreicht werden kann (161–173). Das Wechselverhältnis von „brain“ und „mind“ wird von M. Knaup (Philosophie, Hagen) näherhin spezifiziert (175–194), denn Gehirn und Bewusstsein sind unterschiedliche Dinge („Das Gehirn ist kein Subjekt, welches etwas wahrnimmt oder erlebt.“, 183. Aber: „Unser Bewusstsein vermag Ereignisse miteinander zu verknüpfen und auf sich zu beziehen.“, 185). Es folgt ein Beitrag von G. Gasser (Philosophie, Augsburg), der eine „identitätstheoretische Skizze“ entwirft (195–220). Dabei formuliert er eine „religionsphilosophische Coda“ (214) und sieht in den aktuellen transhumanistischen Debatten das Versprechen, Erlösung selbst realisieren zu können. Dabei beurteilt der eigentlich religiöse Grundtenor die Welt und den Menschen prinzipiell positiv, wohingegen im Transhumanismus kognitive und moralische Einschränkungen und Vulnerabilitäten als Übel und als zu überwindende Defizite gedeutet werden und deren „Annahmen mit zahlreichen mythischen und (quasi-)religiösen Vorstellungen angereichert sind“ (217). Am Schluss setzt sich K.H. Sames, seines Zeichens Fachmann für Kyronik, mit eben diesem Thema auseinander und sieht in der Möglichkeit, organisches Leben durch Einfrieren zu sichern, eine Chance für die Zukunft der Medizin (221–238). Der Sammelband vereint sehr unterschiedlich gelagerte Beiträge zum „Sterben 2.0“, stellt diverse „(trans-)humanistische Perspektiven“ vor und erweist sich als interessante Zusammenschau der Thematik für Interessierte.

Thomas Eggensperger OP, Berlin