Stichwort

Orden und Wissenschaft

„Es geht also um die Frage, wieweit die Bettelorden mit ihren studia, die sie an den Universitätsorten hielten und die mit der jeweiligen Universität verbunden waren, im Rahmen dieses Gefüges ihre eigene Ordenstheologie bewahren, vertiefen oder gar weiterzuverbreiten vermochten, bzw. umgekehrt von vorherrschenden Trends an den Universitäten mitgeprägt und darin verändert wurden. Mit anderen Worten: haben die entsprechenden rechtlich-organisatorischen Bedingungen der Universitäten die Schulbildung erleichtert oder erschwert?“1

Dieses Zitat aus einem Vortrag des Kirchenhistorikers Isnard W. Frank, seines Zeichens Dominikaner und Professor sowohl an diversen Ordenshochschulen (Walberberg und St. Gabriel) als auch an einer Universität (Mainz), markiert die wesentlichen Punkte, wenn es um Studium, Forschung und Wissenschaft von Ordensleuten geht. Selbst wenn der Autor des Beitrags seinen Akzent auf die Mendikantenorden (bes. den Predigerorden) im Mittelalter setzt, betrifft diese Punkte sämtliche Studienhäuser von Orden und gilt nicht nur für die Gründerzeit.

Von den Anfängen der ordensinternen Ausbildung

Der Gründung und der Unterhalt von ordenseigenen Studieneinrichtungen eignen unterschiedliche Motive. Am allerwenigsten war der Grund für eine Hochschulgründung die Anmaßung, besser sein zu wollen als die bestehenden Einrichtungen. Neben den Kathedralschulen, die Ausbildungsstätten der Bischöfe für ihre zukünftigen Priester waren, gab es die Studieneinrichtungen der Klöster, die ausschließlich der internen Ausbildung des Ordensnachwuchses vorbehalten waren. Erst als im Hochmittelalter die Universitäten gegründet wurden und dort die theologischen Fakultäten ihren Platz neben den anderen Fakultäten eroberten, kam Bewegung in die akademisch-theologische Landschaft. In der Epoche der so genannten Hochscholastik etablierten sich die akademischen Lehrer der theologischen Fakultäten – die Magistri – und bildeten den Lehrkörper, der sich in der Regel aus den Klerikerständen der Diözesen rekrutierte. Mit dem Aufkommen der Mendikanten veränderte sich das Bild, wenngleich dies in zwei Etappen geschah: Zunächst einmal war es einem Ordensstifter wie Dominikus von Guzmán nur ein Anliegen, den Brüdern seines gerade gegründeten Ordens eine angemessene Ausbildung zuteil zu lassen, da ihm die Standardstudien des Klerus seiner Zeit als nicht ausreichend vorkam. Zudem sah er die Chance, aus dem Pool der Theologiestudenten auch Nachwuchs für den eigenen Orden zu rekrutieren, was sich als ein überaus erfolgreiches Modell erwies. Als es aber darüber hinaus dazu kam, dass sogar Magistri sich dafür interessierten, in den Predigerorden einzutreten, veränderte dies auch die universitäre Landschaft. Denn im Gegensatz zu heute war ein Magister ein recht freier Unternehmer, dem ein Lehrstuhl (Cathedra) übertragen war. Als aktive Magistri in den Orden eintraten, nahmen sie quasi ihren Lehrstuhl mit, d. h. der ehemalige Klerikermagister unterrichtete mit einem Mal als Magister des Dominikaner- oder Franziskanerordens. Diese Lehrstühle wurden zuweilen zur Erbmasse, d. h. wenn einmal ein Ordensmitglied auf diesem Lehrstuhl saß, wurde er nach dessen Aktivität einem anderen Ordensmitglied übertragen. Damit wurde die theologische Fakultät zu einem Ort mit hoher Präsenz von Ordensleuten. Die Orden waren interessiert, mit ihren eigenen theologischen Studien in die „universitas“ eingebunden zu werden, ohne aber sich bedingungslos der „universitas“ unterwerfen zu müssen.2 So anerkannten u. a. die theologischen Fakultäten der Pariser und Toulouser Universität die Bettelordensstudien und integrierten die Magistri der Bettelorden in die Fakultät. Jeder Lehrstuhl hatte seinen fachspezifischen Schwerpunkt und man legte seitens der Orden Wert darauf, überdurchschnittlich begabte Brüder auf die Lehrstühle zu berufen. Das gleiche galt für Studierende: Sie bekamen ihre Ausbildung in den jeweiligen Konventen, in denen sie eingetreten waren und für den Fall, dass jemand besonders begabt war, entsandte man ihn an die großen theologischen Fakultäten bzw. an das „Studium Generale“. Für die Mendikanten waren die theologischen Fakultäten also kein Ort für die grundlegenden Studien, sondern waren für sie Promotionsfakultäten. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts studierten Mendikanten zunehmend an den artistischen Fakultäten (Philosophie), wenngleich es keine Artisten-Lehrstühle gab, die dem Ordensstudium verbunden waren. Es gab nach wie vor Studienhäuser der einzelnen Bistümer (Kathedralschulen oder Priesterseminare), die aber in der Regel bestenfalls in der Lehre, aber selten in der Forschung herausragende Vertreter vorweisen konnten, da sie deutlich praxisorientiert waren hinsichtlich der Ausbildung künftiger Pfarrseelsorger.

Mit der Zeit vermehrte sich die Zahl der theologischen Fakultäten, die oft Teil der Universität wurden. Auch die Orden legten mehr Wert auf eine Regionalisierung ihrer Studien. Die Zahl ihrer Studienhäuser stieg ebenfalls an.

Die Bedeutung der Ordensstudien

Die eingangs gestellte Frage von Frank, inwieweit die Bettelorden in den Universitäten ihr Profil schärfen konnten, bzw. profiliert und konstruktiv an der theologischen Lehre und Forschung teilhaben konnten, lässt sich gut beantworten: Die Theologiegeschichte zeigt, dass es nicht nur in der Blüte der Hochscholastik die Ordensinstitute waren, die herausragten. Sehr aphoristisch zu nennen ist die so genannte Schule von Salamanca (Studienhaus San Esteban), die im ausgehenden 15. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte, und die vielen Hochschulen (oft Philosophisch-Theologische Hochschulen genannt) im Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts. Wie in jeder theologischen Fakultät auch, gab und gibt es in ordenseigenen Hochschuleinrichtungen einzelne sehr gute Lehrer bzw. Forscher, die über den guten Durschnitt des Kollegiums hinausreichen. Die Theologie des 20. Jahrhunderts war wesentlich geprägt von Ordensleuten, die gar nicht oder nur temporär an einer Fakultät lehrten, sondern vornehmlich an ordenseigenen Hochschulen: Edward Schillebeeckx OP (Leuven), Leonardo Boff OFM (Petrópolis), Clodovis Boff OSM (u. a. Rom), M.-Dominique Chenu OP und Yves Congar OP (Le Saulchoir), Oswald von Nell-Breuning SJ (Frankfurt), Otto Hermann Pesch OP (Walberberg), Joseph Bocheński OP (Fribourg), Karl Rahner SJ (Pullach, Innsbruck), Bernhard Häring CSsR (Gars am Inn, Rom), Carlos Mesters OCarm (Belo Horizonte). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen …

Es ist reiner Mythos, dass nur an staatlichen Fakultäten gute Theologie getrieben werden kann. Der Vorteil der öffentlichen Einrichtungen ist eine deutlich bessere Besoldung und ein größerer Stab von Mitarbeitenden, der den Lehrenden hilft, einen größeren akademischen Output zu ermöglichen, aber die Geschichte und die gegenwärtige Situation zeigt, dass die Lehrenden und Forschenden der kirchlichen Hochschulen qualitätsadäquat und zuweilen mit dem besonderen Profil einer bestimmten ordenseigenen Einrichtung auftreten. Ein Automatismus von staatlicher Besoldung und besonderem theologischen Esprit hingegen lässt sich damit nicht herstellen.

Fußnoten

01 I. W. Frank, Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens (Institut für europäische Geschichte Mainz. Vorträge Bd. 83), Stuttgart 1988, 7.

02 Vgl. ebd., 16.

Der Autor

Dr. theol. Thomas Eggensperger OP, M.A. (eggensperger@institut-chenu.info), geb. 1963, Prof. für Sozialethik am Campus für Theologie und Spiritualität Berlin. Anschrift: Schwedter Straße 23, D-10119 Berlin. Veröffentlichung u. a.: Identitätsbildung durch Digitalisierung in Kirche und Gesellschaft. Konnektivität durch die Beziehung von Ver- und Entnetzung, in: M. Kirschner (Hrsg.), Europa (neu) erzählen. Inszenierungen Europas in politischer, theologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive (Theologie transdisziplinär Bd. 2), Baden-Baden 2022, 295–312.