Mouhanad Khorchide/Konstantin Lindner/Antje Roggenkamp/Claus Peter Sajak/Henrik Simojoki (Hrsg.), Stereotype – Vorurteile – Ressentiments. Herausforderungen für das interreligiöse Lernen (Religiöse Bildung kooperativ Bd. 1), V&R unipress Göttingen 2022, 240 S., € 45,-.

Der Pilotband aus der neuen Reihe „Religiöse Bildung kooperativ“ speist sich aus verschiedenen Beiträgen zweier Tagungen (März 2019 und 2021) des Christlich-Islamischen Forums für Religionspädagogik (CIFR) in Münster. Die fünf Herausgeber*innen sind über die deutsche universitäre Landschaft hinaus anerkannt und prägen u.a. die aktuelle Auseinandersetzung im Kontext „christlicher Pädagogik und interreligiöser Bildung“ mit der „Zukunftsfrage des konfessionellen Religionsunterrichts“ (8). Die Beiträge beschreiben anschaulich, dass die Kooperation von Menschen jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens mit dem Ziel interreligiöser Bildung nur gelingen kann, wenn zuvor die alltäglichen und typischen Vorurteile thematisiert, ehrlich diskutiert und in einen Lernprozess integriert werden. Die gesamte Abhandlung besticht durch alltagsnahe Beispiele, die eine breite Leserschaft mitnehmen und Schritt für Schritt in das komplexe Themenfeld des „interreligiösen Lernens“ einführen.

Der Band gliedert sich in drei umfangreiche Kapitel. Das erste „Stereotype und Vorurteile als Herausforderung“ dient als grundsätzliche Hinführung in die Gesamtthematik, u.a. mit den elementaren Begriffsdefinitionen und -abgrenzungen. Im ersten Artikel verweist G. Pickel gleich zu Beginn auf die Rolle der Religionen in den unterschiedlichen „Konzepten“, gerade wenn „Religionszugehörigkeit zum Zielpunkt für Vorurteile, Stereotype oder rassistische Diskriminierung wird“ (18). Die Studienlage lege sogar die Vermutung nahe, dass religiöse Aspekte als „Einflussfaktor für Vorurteile“ (22) nicht ausgeschlossen seien. Im anschließenden Aufsatz beschreibt H. Simojoki die sogenannte „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015/16 als „Herausforderung schulischer Bildung“ (53f.). Er analysiert die daraus geforderte „Religionssensibilität“ (53) aller Beteiligten, aber gerade der Lehrkräfte, die „nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems“ (51) sein können. Das ist eine gute Überleitung zum zweiten Kapitel „Stereotype und Vorurteile im Kontext der Religionslehrer*innenbildung“. J. Freuding und K. Lindner möchten dabei in ihrem Beitrag Religionskräfte für „Otheringkontexte“ sensibilisieren (97f.). „Othering“ (engl. „andersartig“) versucht „Fremdes fremder, um das Eigene eigener zu machen“ (89). So werden z.B. Menschen als ANDERE konstruiert und bewusst von einem WIR unterschieden. N. Kamcili-Yildiz und O. Reis wagen in ihrem Artikel einen Ausflug in die islamische Religionspädagogik (126f.), eine recht neue Wissenschaftsdisziplin, die erst seit gut 10 Jahren an ausgewählten Hochschulen zum Fächerkanon zählt. Beide untersuchen an der Universität Paderborn die Relevanz weiterer Religionen im Lehramtsstudium für Islamische Religionslehre und „mit welcher Haltung die Dozierenden die fremden Religionen thematisieren“ (125). Das abschließende dritte Kapitel ist mit „Stereotype und Vorurteile im Kontext des Religionsunterrichts“ überschrieben. A. Unser hinterfragt zunächst das „große Versprechen“, interreligiöses Lernen würde Vorurteile abbauen, und er resümiert nüchtern, dass es derzeit eher „fraglich“ sei, dass dieses Versprechen „tatsächlich“ eingelöst werde (147). In den meisten Wirksamkeitsstudien zum interreligiösen Lernen könne „kein entsprechender Lerneffekt gefunden werden“ (160). Doch bei allen Grenzen hält der Autor an den Chancen fest und sieht das Potenzial interreligiösen Lernens, wenn „religionspädagogische Theoriehorizonte“ überschritten und „die lebensweltlichen Problemstellungen der Schülerinnen und Schüler“ (162) stärker in den Blick genommen werden. Abgerundet wird der Sammelband mit einem Ausflug auf die ‚Insel‘. P. Schreiner bricht die rein deutsche Perspektive auf und bringt Impulse aus England und Wales in die Debatte ein. Derzeit gebe es „massive Probleme mit dem Religionsunterricht in England“ (208). Aus dieser Krise entwickeln sich neue Initiativen, die z.B. Religionen als Weltanschauungen in einem größeren europäischen und humanistischen Kontext denken. So wird der Vorschlag diskutiert, das Schulfach „Religious Education“ in „Religion and Worldviews“ (213) zu ändern – ein Zukunftsmodell auch für deutsche Bundesländer?

Ein Sachbuch lesens- und empfehlenswert für alle, die in einer bunten und vielfältigen Gesellschaft ein gutes Miteinander suchen, das ein wirkliches Zusammenleben stärkt.

Christoph U. Wichmann OP, Worms