Gregor Klapczynski, Via triumphalis – Via dolorosa. Die Berliner Fronleichnamsprozession bei Sankt Hedwig im Jahr 1939 (Sankt Hedwig Mitte Bd. 5), Verlag Herder Freiburg/Br. 2022, 160 S., € 10,–.

Das Fest Fronleichnam mitsamt seiner Prozession galt mindestens bis zum II. Vatikanum als Kulmination einer erbaulichen Schaufrömmigkeit, die vor allem ad intra den Glauben an die sog. Realpräsenz Jesu Christi stärken und auf diesem Weg auch der konfessionellen Identitätsbildung dienen sollte. G. Klapczynski zeigt in einem die Lesenden fesselnden Bändchen am Beispiel der Fronleichnamsfeier der Berliner Hedwigskathedrale 1939, wenige Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wie die dortige Prozession auch als Ausdruck einer politisch subversiven Zeigefrömmigkeit inszeniert und von den Nazis genauso wahrgenommen wurde. Seine kleine, aber feine Studie basiert auf dem überraschenden Fund von 56 Farbdias dieser Feier im Jahr 2018, die der Autor detailgenau wahrnimmt, deutet und kompetent in einen größeren historischen Rahmen einordnet, der zu erkennen gibt, wie die konkrete Ausgestaltung des Festes im Raum Berlin-Brandenburg seit dem 14. Jahrhundert oft ein „sensibler Indikator“ (27) für das Verhältnis Kirche-Staat war.

Angesichts der zunehmenden Restriktionen des kirchlichen Lebens durch die Nazis lenkt der Verf. die Aufmerksamkeit darauf, mit welcher „parrhesia“ das 1939 erst neun Jahre alte Bistum auch unter erschwerten Bedingungen selbstbewusst die gerade einmal 14 Jahre währende Möglichkeit nutzt, die Prozession überhaupt außerhalb der Kirchenmauern zu halten. Der Berliner Bischof Konrad von Preysing, unter den deutschen Bischöfen der profilierteste Gegner der Nazis (vgl. 58), bewies offensichtlich ein Gespür für die Bedeutung der Fähigkeit, öffentlichen Raum in Anspruch zu nehmen (vgl. 21). Sein Generalvikar Maximilian Prange hatte Tage zuvor gezielt über die Priester des Bistums die Gemeinden und ihre Fahnenabordnungen mobilisiert. Klapczynski arbeitet in einer akribischen Recherche an vielen Details heraus, dass die Nazis den subversiven Charakter der Prozession verstanden haben. Relativ kurzfristig wird die seit 1933 übliche Streckenführung geändert: die Prozession darf nicht mehr wie noch in den Jahren zuvor den Prachtboulevard „Unter den Linden“ passieren, die von Hitler mit Überwältigungsarchitektur ausgestattete „via triumphalis“ der Nazis. Im anschließenden Bericht des Sicherheitsdienstes wird dies mit Genugtuung registriert (vgl. 107), zudem finden die illegalen Fahnen seltsamerweise keinerlei Erwähnung und es wird die Zahl der Teilnehmenden um die Hälfte reduziert. Gezielt sollte so die Bedeutung der Prozession heruntergespielt werden. Auch wenn mit etwa 7.000 – 8.000 „nur“ etwa die Hälfte der 15.000 Gläubigen des Vorjahres teilnahmen, wurde auch diese Zahl vom totalitären Regime offensichtlich als bedrohlich empfunden – in einer Zeit, die Klapczynski abschließend zurecht als mit der Deutekategorie „Kulturkampf“ nicht zutreffend gefasst begründet.

Zwei Jahre nach diesem Fronleichnamsfest, 1941, schrieb der Jesuit Alfred Delp der Kirche seiner Zeit ins Stammbuch: „Wir dürfen uns innerlich nicht verengen auf die eigene Sicherheit oder das eigene Heil. Das erste, worum es zu gehen hat, ist der Glanz und die Ehre des Herrgotts, und wer echt für diese steht, dem wird all das andere zugegeben werden.“ In dem äußerst lesenswerten Bändchen bringt der Verf. nahe, wie genau diese Haltung bei der Berliner Fronleichnamsfeier konkrete Gestalt gefunden hat.

Michael Höffner, Münster – Berlin