Editorial

Die Tribalisierung der Gesellschaft schreitet voran. Nicht nur, dass wir seit Jahren einen Anstieg der ‚Ismen‘ zu beklagen haben (Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, Autoritarismus u.v.a.m.), wir erleben auch, dass mit diesen bewusst Politik gemacht wird, Wahlen gewonnen und gar Kriege angezettelt werden. Die Grundsubstanz des toxischen Gebräus bilden Ressentiments, die sich in den Hirnen und Herzen der Menschen festgesetzt haben und dort ihr Unwesen treiben. Jenseits der gemeinschaftlichen Ebene blicken wir in diesem Heft aber auch auf die individuelle: Stereotype und Vorurteile helfen, die Welt zu erfassen und zu strukturieren, und sind damit denknotwendig. Wie aber umgehen mit dieser Ambivalenz?

Im Stichwort diskutiert die evangelische Theologin Philine Lewek (Rostock) den Begriff Ressentiment im Unterschied zu Vorurteil, besonders im Hinblick auf eine neurechte „Theologie des Ressentiments“. Mit der amerikanischen „Cultural Anthropology“ fragt der Exeget Michael Hartmann (Tübingen), wie Jesus als antiker Mensch des 1. Jahrhunderts mit Ressentiments umgegangen und was davon zu lernen ist. Claudia Nothelle (Berlin) analysiert Hatespeech in den Sozialen Medien und plädiert für ein stärkeres Zusammenspiel von Bewusstseins- und Medienbildung, Diskussionskompetenz und staatlicher Regulierung. Dass ressentimentale Strukturen den Menschen vor Reizüberflutung auch schützen und erst handlungsfähig machen, erläutert der Mediziner und Psychotherapeut Karl-Heinz Brinker (Telgte). Der Journalist Volker Resing (Berlin) kommentiert den „innerkatholischen Glaubenskrieg“ als kirchlichen Systemkonflikt und empfiehlt allen Seiten mehr Humor. Ressentiment als Gruppengefühl im politischen Kontext behandelt Evelyn Bokler-Völkel (Münster) und hebt die Bedeutung von Prävention durch gesellschaftliche Teilhabe hervor, auch um einer Radikalisierung vorzubeugen. Klaus-Bernward Springer (Köln) stellt einen ‚radikalisierten‘ Dominikaner vor, der im 14. Jahrhundert als Inquisitor für die Ermordung zahlreicher Beginen und Begarden im Erfurter Raum verantwortlich war. Abschließend unterzieht Wanja Kirchhoff (Trier) Peter Sloterdijks Buch „Zorn und Zeit“ (2006), in welchem dieser den „zornigen Gott“ Israels als Projektion allzu menschlicher Ressentiments analysiert, einer kritischen Relektüre.

Dennis Halft OP/Frano Prcela OP