Auch im Lamm ist Zorn (3/2025)

Editorial

Bergmann, Christoph | Eggensperger, Thomas

„Auch im Lamm ist Zorn“ – dieses geflügelte Wort, das in seiner Widersprüchlichkeit wie ein Oxymoron daherzukommen scheint, ist biblisch begründet. Im Buch der Offenbarung heißt es, dass die Mächtigen der Erde zu den Bergen und Felsen sagten: „Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Blick dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Wer kann da bestehen?“ (Offb 6, 16f.)

Stichwort

Correctio fraterna des zornigen Jesus?

Höffner, Michael

Jüngst wurde die Fachwelt durch einen spektakulären Fund überrascht, einen Brief, der inzwischen unter dem Titel „Epistula ad Nazarenum iratum“ firmiert. Autor ist der Philosoph Seneca, Adressat der Nazarener Jesus; Anlass ist explizit die auch in den vier Evangelien überlieferte Tempelreinigung. Der Mainstream der Forschung wagt deshalb eine Datierung auf das Frühjahr 33 n. Chr.

Zeit des Zorns?

Roth, Johannes

Unsere Gesellschaft zeigt sich in den gegenwärtigen Krisen, Konflikten und Kriegen als hoch emotionalisiert. Dabei treten auch der Zorn, die Wut und der Ärger zu Tage. Gerade der Zorn wurde vielfach verdrängt und teilweise auch vergessen. Er wird heute vor allem als negative Emotion gesehen. War das schon immer so? Kann man den Zorn vielleicht auch anders sehen? Immer wieder taucht auch die Frage auf, ob der Zorn Gottes in Kriegen und politischen Konflikten instrumentalisiert wird und ob sie im Namen Gottes geführt werden?

Zorn als moralische Emotion

Lutz, Ralf

Der Leumund des Zorns ist nicht der Beste. Das gilt auch, wenn wir mitunter von heiligem Zorn oder heiliger Wut sprechen und wenn wir verständliche und vielleicht sogar legitimierbare Formen des Zorns benennen wollen. Immerhin gilt der Zorn in christlicher Tradition als eine der Haupt- und Wurzelsünden. Auch reagieren wir mit moralischer Missbilligung gegenüber einer allzuleichten Verführbarkeit zum Zorn und erst recht gegenüber einem Zorn, der maßlos erscheint oder zu keinem Ende mehr kommt. Es lohnt also, einmal etwas genauer hinzuschauen und nach Struktur und Qualifizierung des Zorns als moralischer Emotion zu fragen. Ich werde im Folgenden zunächst eine kurze formale Definition moralischer Emotionen geben, gefolgt von einer ausführlichen Rekonstruktion der Emotionstheorie des Thomas von Aquin im Allgemeinen und seiner Theorie des Zorns im Besonderen und ende mit einem Ausblick.

‚Nachbarin! das Fläschchen!‘ oder die Tuba geben zu denken

Müller, Wolfgang W.

Mit einem kurzen Text aus Nummer 81 des Dekretes über die Liturgie des II. Vatikanums hat das Konzil eine lange Tradition der Begräbnisliturgie beendet: Die Sequenz, gemeinhin als dies irae, dies illa bekannt, ist seit 1970 aus der Totenmesse der katholischen Kirche gestrichen.1 Die Gattung der Sequenzen war in der vormodernen Liturgie sehr populär, ermöglichte sie doch, hoch spekulative Themen der Theologie mit den Emotionen persönlicher Frömmigkeit zu verbinden. Das Konzil von Trient reduzierte angesichts eines Wildwuchses die Zahl der Sequenzen zu Ostern (victimae paschuali laudes), Pfingsten (veni sancte spiritu), Fronleichnam (lauda Sion salvatorem) und zur Totenmesse (dies irae). Dieser Text zur Totenmesse galt nach Meinung des evangelischen Hymnologen H. A. Daniel als höchste Zierde religiöser Dichtung und das kostbarste Kleinod der katholischen Kirche2 und wirkte in Kunst, Kultur und Literatur bis in unsere Zeit hinein. Die Sequenz diente vielen Malern als Motiv, so beispielsweise für die Bamberger Apokalypse, Michelangelos Gemälde vom Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle oder das Gemälde im Dom zu Orvieto.

Zorn, Aggressivität und Maskulinismus

Sauer, Birgit

„Manchmal, in Momenten des Zorns, scheint alles ganz simpel und selbstverständlich zu sein. Der Zorn bringt Ordnung mit sich, er zeigt die Welt in offensichtlicher Kurzfassung, der Zorn bewirkt auch die Gabe des Hellsehens, was in keinem anderen Gemütszustand möglich ist.“

„Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“

Berretz, Kerstin-Marie

„Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Dieses Zitat aus dem Grimm’schen Märchen „Rumpelstilzchen“ kann einem in den Sinn kommen, wenn man über den Zorn nachdenkt. Er führt sich bisweilen auf wie das kleine Männlein aus dem Märchen, das die Müllerstochter fest im Griff hat. Die Müllerstochter – zur Erinnerung gesagt – soll jede Nacht für den König aus Stroh Gold spinnen. Andernfalls müsse sie sterben. Da die junge Frau – natürlich – kein Stroh in Gold verwandeln kann und von ihrem Vater in die missliche Lage gebracht wurde, ist sie auf die Hilfe des Rumpelstilzchens angewiesen, das jede Nacht erscheint und ihr gegen eine Bezahlung das Stroh zu Gold spinnt. Zuletzt verspricht sie ihr erstgeborenes Kind als Gabe für das Gold, das das Rumpelstilzchen nach der Geburt dann auch einfordert. Es will der jungen Frau das Kind jedoch überlassen, wenn sie seinen Namen nennen kann. Das gelingt ihr in der dritten Nacht, worüber das Rumpelstilzchen so zornig wird, dass es sich selbst vor Wut zerreißt.

Dominikanische Gestalt

Claudius Lavergne OPL (1815–1887)

Schmeiser, Norbert

Der Glas-, Portrait- und Historienmaler sowie Kunstkritiker Claudius Lavergne war von der Idee des kniend schaffenden christlichen Künstlers geprägt. In seiner Jugend war er durch Landschafts- und Portraitmalereien aufgefallen. Von der „Schule der schönen Künste“ in Lyon wechselte er an die „Académie de France à Rome“. Dort habe der Zwanzigjährige seine Pinsel von Papst Gregor XVI. (1765–1846) segnen lassen und ihm versichert, immer ein christlicher Künstler zu sein – so berichtet es sein Sohn, Georges-Claudius Lavergne (1847–1923), in seiner Biografie, und unterstreicht damit das Bild seines Vaters als einem christlichen Künstler.

Wiedergelesen

Seneca „De ira“ (zwischen 41–52)

Gentgen, Maximilian

An ihr arbeitet sich Seneca in seiner Schrift De ira/Über die Wut ab. Das Werk ist seinem älterem Bruder Lucius Annaeus Novatus gewidmet und entstand zwischen den Jahren 41 und 52. Seneca reiht sich mit De ira in eine lange philosophische Tradition ein, die sich mit der menschlichen Aggressivität beschäftigt, und dabei wiederkehrende Topoi entwickelt, ähnlich den antiken Trostschriften.