Krieg statt Frieden | Politik mit anderen Mitteln? (2/2023)

Editorial

Eggensperger, Thomas | Engel, Ulrich

In tempore belli ein Heft zum Thema „Krieg statt Frieden“ herauszugeben beinhaltet ein doppeltes Risiko. Ersten könnte die Titelformulierung als Kriegstreiberei missverstanden werden. Das liegt uns fern. Zweiten können Frontverläufe sich verschieben, politische Allianzen sich ändern und öffentliche Meinungen sich wandeln. Deshalb sucht unsere WORT UND ANTWORT-Ausgabe eine grundlegenderen Blick auf die Thematik zu werfen. „Krieg und Frieden“ sind – nicht erst seit Lew Tolstois gleichnamigem Epos – sowohl antipodisch als auch symbiotisch, was in diesem Themenheft zu Beginn durch Thomas Eggensperger OP ausgeführt wird.

Stichwort

Krieg und Frieden

Eggensperger, Thomas

Bei diesen Stichworten kommt einem unweigerlich Lew Tolstois „Krieg und Frieden“ in den Sinn, das Epos über das Umfeld der Napoleonischen Kriege (1805–1812) und eines tragisch scheiternden Russlandfeldzugs des französischen Feldherrn, der unter dem Vorwand, die Freiheit exportieren zu wollen, nach Moskau aufbrach und bei der Rückkehr der misslungenen Moskau-Invasion durch den eisigen Winter den größten Teil seines Heeres dem Tod anheimgab. Es ist die Erzählung einer Welt des Friedens, die beständig bedroht ist vom Krieg. Wie nahe sich die beiden Antipoden sind, zeigt der Autor beispielhaft am Leben des Offiziers Rostow, für den die Zeit in der Armee „Glückseligkeit“ bedeutete: „in ebendiesem obligatorischen und untadeligen Müßiggang besteht nach wie vor die Hauptattraktivität des Militärdienstes.“ Der Traum von der Muße war aber spätestens mit dem Anrücken der Franzosen zu Ende.

Gerechter Krieg? Gerechter Friede?

Kohlgraf, Peter

Friede als Gabe und Aufgabe ist ein Kern der biblischen Frohen Botschaft. Dieser entsteht nicht im luftleeren Raum. Vom Anfang bis zum Ende durchziehen die biblischen Bücher Gewalterfahrungen und die Frage nach einem angemessenen Umgang damit. Bereits im vierten Kapitel des Buches Genesis kommt mit dem Brudermord Kains an Abel die Gewalt in die von Gott als gut geschaffene Welt. Gewalt, so ist die Botschaft dieses Buches, zerstört die Schöpfungsordnung, die Gott gewollt hat. Bereits hier, ganz am Anfang der Bibel, ist die Reaktion jedoch nicht die Wut und die unkontrollierte Vergeltung. Gott will keine blinde Rache an Kain, dem Mörder seines Bruders. Er schützt ihn vor einer Vergeltung, die Gleiches mit Gleichem vergilt. Und dennoch steht diese Erzählung für die Tatsache, dass die Gewalt von Anfang an zur von den Menschen verantworteten Welt gehört. Nur wenige Kapitel später erkennt Gott, dass die Welt geprägt ist von Bosheit, Verdorbenheit und Gewalt (Gen 6,1–12). Ganz menschlich gesprochen: Gott muss lernen, mit dieser Realität umzugehen. Er schickt die Sintflut, sicher keine pazifistische Lösung der Menschheitsprobleme. Später scheint er seine zerstörerische Tat zu bereuen: Er setzt den Regenbogen an die Wolken und schwört, nie wieder eine solche Reaktion zu zeigen (Gen 8,21).

Ein Friedensnobelpreisträger als Kriegsherr

Kuhn, Marko

Als Abiy Ahmed im April 2018 zum Premierminister von Äthiopien ernannt wurde, geschah dies nicht als Resultat von allgemeinen Wahlen, sondern eines internen Prozesses innerhalb der Regierungspartei Äthiopiens. Die Ethiopian People‘s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) war eine politische Koalition, die von 1991 bis 2018 an der Macht war und in der vor allem eine der vier Parteien die wesentliche Rolle spielte: Die Tigray People’s Liberation Front (TPLF), die sich um die Interessen der Tigray-Ethnie kümmerte und deshalb später eine wesentliche und problematische Rolle spielte. Sie sollte in der Folgezeit immer mehr Einfluss im Zentrum der Macht verlieren und damit wurde ein erster Stachel ins Fleisch des staatlichen Zusammenhalts getrieben.

Eskalation oder Eindämmung der Gewalt?

Merkl, Alexander

Waffenlieferungen sind unter den Oberbegriff ‚Rüstungsexporte‘ einzuordnen und von der Proliferation von ABC-Waffen sowie der Weitergabe von sonstigen Rüstungsgütern abzugrenzen. Es geht vor allem um den „Transfer von sog. klassischen oder konventionellen kriegstauglichen Waffen bzw. Waffensystemen“. In einer Umfrage von infratest dimap Anfang Januar 2023 wurde die Frage gestellt, wie die Unterstützung der Ukraine durch ebensolche Waffenlieferungen durch die deutsche Politik bewertet werde. Für 26 % der 1.314 Befragten ging die Unterstützung mit Waffen zu weit, 40 % betrachteten sie als angemessen, für 25 % ging sie nicht weit genug. Das Thema also wird durchaus kontrovers diskutiert. Dies zeigte sich auch in Gestalt von zwei offenen Briefen deutscher Kulturschaffender und Intellektueller an Bundeskanzler Olaf Scholz am 29. April 2022 in der Zeitschrift Emma und als Replik am 4. Mai 2022 in der Zeit. Diese sprachen sich einerseits vehement gegen und andererseits entschieden für Waffenlieferungen an die Ukraine aus.

Von friedensethischen Zeitenwenden und einer Achillesferse

Elßner, Thomas R.

Unmittelbar nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg seitens der Russischen Föderation gegen den unabhängigen und souveränen Staat der Ukraine am 24. Februar 2022 ist im kirchlichen Kontext in Deutschland wieder vom „Gerechten Krieg“ die Rede gewesen. Einen ersten Auftakt diesbezüglich machte die renommierte katholische Monatszeitschrift „Herder Korrespondenz“ auf der ersten Innenseite ihrer Märzausgabe 2022. Ausdrücklich verweist hierzu Benjamin Leven auf den Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) von 1993: „Die Kriterien für einen ‚gerechten Krieg´ (bellum iustum), wie sie der Katechismus der katholischen Kirche definiert, dürften im Falle eines ukrainischen Verteidigungskrieges wohl erfüllt sein.“ Das Adverb „wohl“ mildert zwar geringfügig diese apodiktische Aussage ab, aber stimmt es?

Der Russische Angriffskrieg gegen die Ukraine

van Elk, Noreen

Dass Medien und mediale Berichterstattung in Kriegszeiten und im Kontext bewaffneter Konflikte eine wichtige Rolle spielen, gilt als unbestritten und offenkundig. Die Art und Weise, wie über Kriege und Konflikte berichtet wird und welche Bilder vom Krieg verbreitet werden, entscheidet darüber, wie ein Krieg oder ein Konflikt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Aus dieser weitreichenden Bedeutung der Berichterstattung im Kontext von Krieg und Konflikt folgt, dass die „normativen Anforderungen an die journalistische Berichterstattung“ sowie die Verantwortung der Journalist:innen hoch sind. Journalist:innen sehen sich im Kontext von Krieg und Konflikt mit vielen Herausforderungen und ethischen Fragen konfrontiert. Unter anderem aus diesem Grund gibt es eine breite medienethische Befassung mit Fragen der Kriegsberichterstattung. Dabei stehen häufig individualethische Fragestellungen nach dem richtigen Handeln der Journalist:innen im Mittelpunkt: Wie sollen Journalist:innen über Kriege und Konflikte berichten? Wie können sie richtig handeln? Von welchen Prinzipien sollen sie sich leiten lassen (z. B. Transparenz, Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit, usw.)? Welche ethischen Grundsätze gilt es zu beachten?

Dominikanische Gestalt

Dominique Pire OP (1910–1969)

Höhn, Laurentius

Dominique…wer? Es mag nicht wenige geben, die die anfänglich formulierte Frage so oder in ähnlicher Form ihren Zeitgenossen stellen, die vielleicht in einer Stunde politischer Friedensdebatten den Namen des hier zu charakterisierenden belgischen Dominikaners als das gute Lebensbeispiel für glaubhafte Orthopraxie in den Schuhen der Bergpredigt Jesu nennen. Die Eckdaten seines Lebens geben eine erste Ahnung von den Lebensumständen, die in ihrer Wucht und Dramatik kaum durch Jahresziffern ausgeleuchtet werden können. Die Schrecken deutscher Invasion und Mordlust als vierjähriger Knirps auf der Flucht in seinem Heimatland Belgien erlebend, welches durch die apokalyptischen Gasangriffe u. a. in Ypern zutiefst traumatisiert wurde, erfuhr der junge Dominikaner, mit 19 Jahren dem Orden beitretend, als junger Priester seine menschliche Reifeprüfung in den Wirren des Zweiten Weltkrieges, engagierte sich in der Resistance und wurde sogar mehrfach als Spion der Deutschen verdächtigt.1 Intellektuell genährt schon vor den Schrecken der Bomben durch sein theologisches Doktorat in Rom und vor allen Dingen den Studien der Sozial- und Politikwissenschaft, wurde gerade diese letzte Etappe akademischen Lernens für ihn zur Wurzel der besonderen Berufung im sozialen Engagement.2 Nach dem Ende des Krieges zunächst als tüchtiger Pfarrer in der Nähe des Klosters La Sarte, wird das Jahr 1949 für ihn zur Wendemarke in seinem Leben als Predigerbruder, und dies ausgerechnet durch den Vortrag eines amerikanischen Colonels in Brüssel.

Wiedergelesen

Franziskus Stratmann „Krieg gegen Rußland?“ (1931)

Barwasser, Carsten

„Worauf es hauptsächlich ankommt, ist dies: dass die Verteidigung eine wirkliche Verteidigung sei: ein wahrer Schutz der Menschen und des Landes, eine möglichst rasche und wirksame Lahmlegung des feindlichen Angriffs. Was geschieht aber, wenn einfach Gleiches mit Gleichem erwidert wird, so dass schon nach einer halben Stunde Verteidigung und Angriff vollständig ineinander übergegangen sind? Wenn der Verteidiger ebenso viel und noch mehr Güter und Menschen verliert wie der Angreifer, ja zum Schluss total besiegt am Boden liegt? Ist eine solche Verteidigung noch sinngemäß? Jeder Mensch und erst recht jede Obrigkeit hat die absolute Pflicht, sinngemäß zu handeln und das Ende zu bedenken.“