Ringen um Freiheit | Iran (2/2024)
Halft, Dennis
Um die Protestbewegung in Iran, die im September 2022 nach dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Zhina Mahsa Amini, die von der sog. Sittenpolizei wegen eines angeblich nicht ordnungsgemäß getragenen Hidschabs verhaftet worden war, ihren Anfang nahm, ist es ruhiger geworden. Doch auch wenn sich der Ruf nach Freiheit derzeit weniger stark wahrnehmbar artikuliert, so zeigt die jüngere Geschichte Irans, dass Iraner*innen inner- und außerhalb des Landes einen ungebrochenen Willen zur Veränderung haben.
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Stichwort
Haag-Higuchi, Roxane
Ein Fenster zur Freiheit betitelt der Autor, Verleger und Übersetzer Mohammad Hoseyn Allafi seine Anthologie moderner persischer Prosaliteratur im 20. Jahrhundert. Dieser Titel dient als thematische Klammer um ganz unterschiedliche Werke aus 100 Jahren Literaturgeschichte und ist eine pointierte Beschreibung eines literarischen Leitgedankens: Literatur überwindet Grenzen. Das Fenster markiert die Schwelle zwischen innen und außen, es bringt Licht in einen ummauerten, dunklen Raum, es durchbricht das Versteinerte und öffnet sich in Helligkeit und Weite. Auch wenn die individuelle, gesellschaftliche und politische Freiheit Ziel und Fluchtpunkt des literarischen Blickes ist, so überwiegen in der modernen persischen Literatur doch Unfreiheit und Unterdrückung gegenüber optimistischeren Entwürfen.
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Mayer, Lara | Neuber, Carolin
Der Tod von Zhina Mahsa Amini, die 2022 wegen eines angeblich nicht korrekt getragenen Kopftuchs verhaftet worden war und in Polizeigewahrsam zu Tode kam, hat in Iran eine Protestbewegung ausgelöst, die für mehr Rechte und Freiheit für Frauen in dem ultrareligiös regierten Land kämpft. Noch immer setzen dort Frauen (und Männer), die Widerstand leisten, ihr Leben aufs Spiel. Lohnt sich Widerspruch gegen ein scheinbar unerschütterliches System oder ist er für Einzelne zu risikoreich? Zwei biblische Frauenfiguren bieten dazu überraschend aktuelle Einsichten: Ester, eine jüdische Waise, die persische Königin wird und dadurch ihr Volk retten kann, und Waschti, ihre Vorgängerin, die die negativen Folgen ihres Widerstands tragen muss – war Waschtis Tat daher vergeblich?
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Seidel, Roman
In sozialen Netzwerken geteilte Bilder, Fotos und kurze Video-Clips gehörten während der Zhina-Revolte, die im September 2022 in den iranischen Kurdengebieten ihren Anfang nahm und bald das ganze Land erfasste, zu den zentralen Elementen sozialer Kommunikation des Widerstands. Es kursierten Fotos von Frauen und Mädchen, die öffentlich ihre Kopftücher verbrannten, Videos von Schülerinnen, die teils mit offenem Haar, teils mit Hidschab gemeinsam im Klassenzimmer die aktuelle persische Version der antifaschistischen Hymne „Bella Ciao“ sangen, kurze Clips und Memes von Straßenprotesten, Graffiti-Spray- oder Free Hug-Aktionen, aber auch Audio- und Video-Sequenzen, die Szenen der Entschlossenheit oder Lebensfreude aus dem Leben von Jugendlichen wiedergaben, die im Zusammenhang mit den Protesten getötet worden waren.
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Amirpur, Katajun
Ende der achtziger Jahre etablierte sich im iranischen Diskurs der Begriff roushanfekran-e dini, also religiöse Intellektuelle. Abdolkarim Soroush hatte den Begriff geprägt, um seine eigene Bewegung von den roushanfekran-e gheyr-e dini, den nichtreligiösen Intellektuellen, zu unterscheiden. Er bezeichnete damit diejenigen Intellektuellen, welche die Religion ernster nahmen und einen konstruktiven Dialog und ein Gleichgewicht zwischen vormodernen religiösen Ideen und modernen Erkenntnissen der Sozial- und Geisteswissenschaften anstrebten. Die säkularen, also die als nichtreligiös bezeichneten Intellektuellen, seien an einem solchen Projekt weniger interessiert gewesen.
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Jacobi, Hannah
Als Ende September 2022 in Iran die revolutionäre Bewegung unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ nach dem Mord an Zhina Mahsa Amini begann, hatte das auch für die iranische Kunstszene gravierende Folgen. Alles stand still, die Galerien blieben geschlossen, es fanden keine Ausstellungen, keine Messen, keine Veranstaltungen statt. Die Kunstschaffenden und Kulturarbeiter*innen in Teheran, aber auch in anderen Städten in Iran, wollten und konnten nicht zur Normalität zurückkehren. ‚Business as usual‘ hätte die Proteste und die Toten verhöhnt und dem Regime in die Hände gespielt, so der Tenor. Wer konnte, ging auf die Straße, Künstler*innen und Designer*innen entwarfen Plakate, viele posteten über die Proteste oder protestierten auf Instagram und Twitter (heute X), vor allem an Kunstuniversitäten fanden Aktionen und Performances statt, welche die revolutionäre Bewegung unterstützten.
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Nejati, Mehrdad
Der Begriff Exil (Lat. exilium zu ex[s]ul) wird mit „in der Ferne weilend, verbannt“ wiedergegeben und bezeichnet „die Vertreibung oder Verbannung von einem bestimmten Ort durch einen institutionellen Akt der Gewalt.“1 Der Begriff Exilant oder Exilierter „bezieht sich auf Einzelne oder Gruppen, die sich freiwillig oder gezwungenermaßen außerhalb ihres Herkunftslandes angesiedelt haben. Einerseits wehren sie sich dagegen, sich vollständig in der [sic] Gesellschaft des neuen Landes zu assimilieren, andererseits kehren sie nicht in ihr Heimatland zurück – während sie zugleich in sich ein brennendes Verlangen nach einer solchen Rückkehr am Leben halten.“2 Im Folgenden geht es vor allem um sog. Exil-Iraner*innen in Deutschland und ihre Community. Diese ist relativ zersplittert. Die politischen Einstellungen und ethnisch-religiösen Hintergründe, die unterschiedlichen Beweggründe für das Exil entsprechen einem Kaleidoskop der iranischen Gesellschaft im Mutterland. Zunächst gebe ich einen knappen Überblick über ihre Geschichte in Deutschland und beleuchte ihre Erfahrungen mit Freiheit bzw. der Unfreiheit des Exils. Anschließend zeige ich, wie die Unfreiheit in Iran und die jüngsten politischen Ereignisse das Spannungsverhältnis innerhalb der Community der Iraner*innen in Deutschland im Zusammenhang mit ihrer Identität im Exil und ihrer politischen Selbstwirksamkeit beeinflussen.
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Dominikanische Gestalt
Levy, Anaël
Jean Pierre de Menasce wurde 1902 in die jüdische Oberschicht Alexandrias in Ägypten geboren.1 Sein Vater war Freimaurer, antiklerikal geprägt und wirkte als Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Seine Mutter war getauft, aber eher areligiös. Das Paar heiratete dennoch vor dem Oberrabbiner von Genf. Während des Ersten Weltkriegs näherten sich seine Eltern der zionistischen Bewegung an, insbesondere der Familie von Chaim Weizmann. Menasce wurde von einer irischen Krankenschwester großgezogen und besuchte das Gymnasium der französischen Laienmission. Er beherrschte keineswegs die arabische Sprache, die sein Vater sprach, studierte aber dennoch in Kairo, später dann in Oxford und Paris, und war ein junger Philosoph, Dichter, Kritiker und Übersetzer.
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Wiedergelesen
Halft, Dennis
„Es ist vergleichsweise einfach, Heimat und Land für die Sache Gottes aufzugeben. Es ist nicht schwer, einen Turban aufzusetzen und ein tiefes ‚Salam‘ auszustoßen. Wirklich schwer ist, das innere Vaterland der vertrauten Konzepte und Begriffe zu verlassen und sich der unaufhörlichen Aufgabe zu stellen, zu versuchen, wie ein Perser zu denken und zu sprechen. […] In einem Dichter wie Hafis, in einem Theologen wie Ghazali können wir diese scharfsinnige und bezaubernde Kombination von intellektueller Klarheit und mystischer Hingabe sehen, die sie zu den großen Seelen, den Mahatmas, der Welt der spirituellen Meisterschaft zählen lässt. […] Die Dominikaner sodann, welche die Mutter Kirche als Schüler und Interpreten des persischen Denkens aussendet, werden fortwährend auf der Suche nach den Wahrheiten und Methoden sein, in denen West und Ost, Thomas [von Aquin] und Ghazali, übereinstimmen. Auf dieser gemeinsamen Grundlage können sie langsam und sicher das Gebäude der absoluten und universalen Wahrheit errichten.“
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