Neue Distanz | Gefühle zeigen (2/2022)

Editorial

Eggensperger, Thomas | Prcela, Frano

Das Thema „Pandemie“ scheint zu einem ewigen Thema zu werden, wenngleich jeweils unter verschiedenen Blickwinkeln. Das Virus und die Folgen – nicht zuletzt für die Gesellschaft als Gesamt – waren und sind schwer absehbar. Dabei ist es gleichgültig, auf welcher Höhe der jeweiligen Wellenbewegung von Inzidenzen man sich gerade befindet.

Stichwort

Social distancing

Engel, Ulrich

Mehr als zwei Jahre leben wir mit dem Corona-Virus. Die meisten Menschen haben ihr Verhalten der pandemischen Situation angepasst und befolgen – mehr oder weniger strikt – die so genannten AHA-Regeln, die uns auffordern, Abstand zu halten, Hygiene-Maßnahmen zu beachten und Alltagsmaske zu tragen. Die Präventivtechnologie des persönlichen cordon sanitaire – mindestens 1,5 Meter sollen es sein – ist die angesagte, weil Schutz versprechende Immunisierungsstrategie.

Zuviel des Guten?

Funke, Dieter

Dass auch in Tugenden das Laster steckt und im Zuviel des Guten das Böse lauert, hat nicht erst der Philosoph Martin Seel in seiner Tugendlehre hingewiesen. Bereits Paracelsus wusste, dass „[a]llein die Dosis das Gift macht“: Zuviel des Guten bewirkt das Böse! Tugenden werden destruktiv in dem Moment, in dem sie sich von ihren Gegenpol lösen. Wer nur gut sein will und keinen inneren Kontakt zu seinen dunklen und „bösen“ Anteilen hat, droht im Guten zu verhärten und bewirkt das Gegenteil von dem, was er will. Was für die Einzelnen gilt, lässt sich auch auf derzeit gefragtes gesellschaftliches Verhalten übertragen. Dies gilt für die Tugend körperlicher Distanz angesichts von Corona und der notwendigen Aufklärung und Transparenz über sexuelle Gewalt in kirchlichen Kontext. Wenn diese neuen Tugenden aber absolut gesetzt werden und nicht mit ihrem Gegenpol verbunden bleiben, können sie das Gegenteil bewirken von dem, was sie beabsichtigen.

Person, Nähe und Distanz im digitalen Sozialraum und in der Arbeitswelt

Hemel, Ulrich

Noch vor wenigen Jahren war unsere Lebenswelt in Familie und Beruf überwiegend analog geprägt. Bis vor 30 Jahren waren das Festnetztelefon und das lineare Fernsehen, Telefax und gedruckte Zeitungen wesentliche Bestandteile des kommunikativen Alltags. Inzwischen dringen Smartphones in die Gestaltung von Kindheit und Jugend, aber auch in die Schlafzimmer der Erwachsenen vor. Soziale Medien erreichen mit WhatsApp, Facebook, Instagram und vielen anderen ein Milliardenpublikum weltweit. Ereignisse mit globalen Auswirkungen wie der Krieg in Syrien und in der Ukraine werden innerhalb von Sekunden digital kommuniziert.

Nähe und Distanz bei Jugendlichen heute

Maly, Sebastian

An einem gewöhnlichen Schultag im Frühling lassen sich die Bewegungen und Begegnungen auf dem Schulhof des Canisius-Kollegs, einer Berliner Jesuitenschule, an der ich als Jesuit und Schulseelsorger tätig bin, folgendermaßen beschreiben: Neben den obligatorischen Räuber-und-Gendarm-Spielen laufen die Kinder paarweise oder in kleinen Gruppen im Gespräch vertieft ihre Runden. Viele lassen sich auf dem etwas weicheren Boden des Sportplatzes in Gruppen nieder, plaudern bestens gelaunt. Natürlich gelten noch Abstandsregeln und in dem Moment, wo es zurück ins Schulgebäude geht, setzen alle geübt ihre Masken auf. Dass diese Generation von Kindern und Jugendlichen auf den ersten Blick weniger oder anders Gefühle zeigen oder Kontakt meiden als frühere, kann ich jedenfalls nicht behaupten. Gerade nach den beiden Jahren mit Corona-Einschränkungen, digitalem Lernen, Wechselunterricht etc. scheint der Hunger nach Gemeinschaft und nach Kontakt, ja auch nach körperlichem Kontakt, ganz und gar altersgemäß zu sein.

Berührung wagen?

White, Dominic

Zu den Vorzügen dominikanischen Lebens gehört es, intergenerationell unter einem Dach zu leben. So umfasst meine Gemeinschaft drei Generationen, rechnet man die Schwestern und andere Gottesdienstteilnehmer mit ein, sind es sogar fünf (im Alter von sechs Monaten bis 98 Jahren)!

Weiter auf Abstand?

Wahle, Stephan

Zwei Jahre dauern mittlerweile die öffentlichen Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Corona-Pandemie an. Noch ist ungewiss, wie sich die Lage nach dem Ende von 2G, 3G, 2G-Plus und Co. entwickeln wird. Will man der Expertise der Wissenschaftler:innen folgen, werden zumindest die sogenannten „AHA-Regeln“, also die Gebote von Abstandhalten, Hygiene und Alltagsmaske (bzw. FFP2-Maske), noch lange ein selbstverständlicher Bestandteil des Alltags bleiben, auch und nicht zuletzt in den Kirchen.

Dominikanische Gestalt

Hyacinthe Cormier OP (1832–1916)

Höhn, Laurentius

„Die Worte gehen schnell vorüber, und die Fehler, die man in der Unterhaltung macht, lassen sich gleich verbessern, aber die Fehler in den Schriftstücken lassen sich nur schwer wieder gutmachen, denn was geschrieben steht, bleibt“. Wer so weise schreibt, der bleibt… bleibt sicher in Erinnerung als ein kluger Mensch, der aus dem Füllhorn der eigenen Erfahrung mit dem Geschriebenen der Nachwelt mit Recht tradieren darf, was in seinem eigenen Leben eine Schule des Lernens war. Doch blättern wir das Betrachtungswerk des Pater Cormier nur eine Seite zurück, lesen wir folgenden Gebetsbeginn: „Ich zittere, o mein Gott, wenn ich betrachte, wie Menschen, die von Dir besonders ausgezeichnet wurden, in der Hölle viel größere Qualen erdulden, als die übrigen Verdammten.“

Wiedergelesen

Eugen Drewermann, „Kleriker“ (1990)

Baumbach, Michael

Was sich bereits Jahre zuvor abzeichnete, bekam im Januar 2010 mit einem Brief von P. Klaus Mertes SJ an ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs kräftigere Konturen und zeichnete nach 2010 ein Bild der Kirche in düstersten Farben.