Tugend Tapferkeit | Widerstand für eine gute Sache (2/2021)

Editorial

Eggensperger, Thomas | Prcela, Frano

Die Tugend der Tapferkeit ist das Thema dieses Heftes. Zweifellos ist sie die komplexeste in der Liste der Tugendtafeln, da sie recht unzeitgemäß wirkt. Tapferkeit suggeriert militärische, teilweise sogar militaristische Grundhaltung und wird damit qua Tugend mit deutlich größeren Reserven bewertet als die anderen Haltungen der beiden Tugendtafeln. Da scheint das Märchen vom „Tapferen Schneiderlein“ noch eher verharmlosend daher zu kommen, das im Coverbild dieses Heftes als Briefmarkensatz seinen Platz gefunden hat.

Stichwort

Tugend ‚Tapferkeit‘

Merkl, Alexander

‚Tugend‘ ist ein ethischer und anthropologischer Grundbegriff, im Singular wie im Plural unterschiedlicher Einzeltugenden.1 Dennoch ist er oftmals negativ konnotiert und vorbelastet. Er erscheint nicht selten ‚unmodern‘. So beschrieb schon Max Scheler (1874–1928) die Tugend als „alte, keifende, zahnlose Jungfrau“2 und Friedrich Nietzsche (1844–1900) konnte im Tugendhaften gar niemand anderen erkennen als einen „Rechtwinkligen“, „Biedermann“ und „Hornochsen“.

Tugendhaft in Transformationsprozessen

Geyer, Felix

Die Tugend der Tapferkeit tritt dann zu Tage, wenn Handeln im Angesicht von Herausforderungen gefordert ist. Platon schreibt der menschlichen Psyche drei Grundkräfte zu, nämlich die Kraft des Begehrens, die des Agonalen (gr. Agon: Kampf, Wettkampf, Anstrengung) und die des Rationalen.1 Der Sozialethiker Wilhelm Korff spricht in seiner Übersetzung und ethischen Profilierung dieser platonischen Grundkräfte der Psyche von der „Kraft des Agonalen (thymoeides), die sich ethisch in der Tapferkeit (andreia) verwirklicht.“2 Diese zeigt sich dabei nicht allein in der Ausnahmesituation, z. B. bei der Rettung eines Ertrinkenden oder dem heldenhaften Widerstand gegenüber Ungerechtigkeiten staatlicher Autorität oder rücksichtsloser Gewalt.

Tapferkeit im Kontext militärisch-politischen Handelns

Hoppe, Thomas

Wenn die Rede von ‚Tapferkeit‘ ist, wird mit diesem Tugendwort eine Haltung bezeichnet, die sich in Handlungen zeigt, deren ethische Vertretbarkeit außer Zweifel steht. Außerhalb eines solchen Handlungskontextes lässt sich das Wort nicht sinnvoll verwenden. ‚Tapferkeit‘ meint nicht etwas, was man als ‚Sekundärtugend‘ ansehen könnte, d. h. als ein Verhaltensmuster, das ethisch neutral erscheint und erst von der Zielsetzung der Handlung selbst her eine sittliche Bewertung erfahren könnte.

Pablo Escobar

Rojas, Franklin Buitrago

Als Kolumbianer bin ich in einem Land aufgewachsen, in dem viel Angst herrschte. In den 1990er Jahren hatten wir in den Städten Kolumbiens Angst, an überfüllte Orte zu gehen oder öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, weil immer die Gefahr eines Terroranschlags bestand. Zwischen 1989 und 1993 gab es elf Terroranschläge in Bogotá, die meisten davon Sprengstoffanschläge, bei denen mehr als 200 Menschen getötet und 1.100 verletzt wurden. Der Grund für diese Angst hatte einen Namen: Pablo Escobar. Deshalb finde ich es paradox, über die Tugend der Tapferkeit zu schreiben und dabei an die Person des bekannten kolumbianischen Drogenhändlers Pablo Escobar zu denken, denn eine der Definitionen von Tapferkeit lautet exakt: die Fähigkeit, angesichts von Widrigkeiten Angst zu ertragen.

Judit

Fischer, Irmtraud

Es ist ein altmodisches Thema, dem sich dieses Heft widmet: „Tugend Tapferkeit. Widerstand für die gute Sache“. Wo ist heute noch Tugend gefordert und wo Tapferkeit? Widerstand hingegen steht heute als (gesellschafts-)politischer Kampfbegriff hoch im Kurs – aber für „die gute Sache“?

Unerschrockenheit in spiritualitätstheologischer Perspektive

Dienberg, Thomas

Unerschrocken wird im Duden umschrieben mit: ‚sich durch nichts erschrecken, abschrecken lassen‘1.Unerschrockenheit hat mit Leidenschaft, Einsatz und vor allem Haltung zu tun. Unerschrockenheit ist ein Aspekt der Tapferkeit, dem mutigen Verhalten im Augenblick der Gefahr. Unerschrockenheit betont noch einmal mehr das Risiko und die Standhaftigkeit. Sie hat nichts mit einer Ausblendung von Angst oder Furcht zu tun, sie weiß sie aber entsprechend als Kraftquelle auf der einen sowie als kritisches Korrektiv auf der anderen Seite zu nutzen.

Dominikanische Gestalt

Odilo Braun OP (1899–1981)

Füllenbach, Elias H.

„Verehrte liebe Freunde, jedes Jahr, wenn der Kalender uns zeigt, dass wir uns dem 20. Juli nähern, dann gibt es gerade in unserem Kreis nicht wenige, die mit innerer Unruhe, ja sogar mit Angst diesem 20. Juli entgegensehen. Da werden alte Wunden aufgerissen und manche Begebenheit, die längst vergessen geglaubt, steht plötzlich vor einem […] so gegenwartsnah, als werde es eben erst miterlebt oder erlitten.“

Wiedergelesen

Josef Pieper „Vom Sinn der Tapferkeit“ (1934)

Möllenbeck, Thomas

„Ein […] Irrtum über die Gerechtigkeit besagt: man könne gerecht sein, ohne tapfer sein zu müssen. Es ist das nicht so sehr ein Irrtum über das Wesen der Gerechtigkeit als ein Irrtum über die Seinsverfassung ‚dieser‘ Welt, in welcher die Gerechtigkeit verwirklicht werden muß. ‚Diese‘ Welt ist nämlich so gebaut, daß die Gerechtigkeit, wie das Gute überhaupt, sich nicht ‚von selbst‘ ‚durchsetzt‘, ohne den todbereiten Einsatz der Person. Das Böse hat Macht in ‚dieser‘ Welt: diese Tatsache bekundet sich in der Notwendigkeit der Tapferkeit, die eben nichts anderes ist als die Bereitschaft, um der Verwirklichung des Guten willen Verwundungen in Kauf zu nehmen. So ist, wie Augustinus sagt, die Tapferkeit selbst ein unwiderleglicher Zeuge für die Existenz des Bösen in der Welt.