Demokratie | Wie im Orden, so in Kirche (1/2021)

Editorial

Halft, Dennis

Aus Anlass des diesjährigen 800. Todestags unseres Ordensgründers, des hl. Dominikus, sowie des Jubiläums der Gründung der norddeutschen Dominikaner-Provinz Teutonia und des Kölner Konvents ebenfalls vor 800 Jahren widmet sich diese Ausgabe von Wort und Antwort einem urdominikanischen Thema: Demokratie. Während demokratische Strukturen und katholische Kirche oft als miteinander unvereinbar gelten, stellt die demokratische Verfassung des Prediger- bzw. Dominikanerordens ein über Jahrhunderte bewährtes Modell für Partizipation und geteilte Verantwortung innerhalb der Kirche dar. Dafür steht nicht zuletzt auch die traditionelle Wahlurne mit ihren weißen und schwarzen ‚Bohnen‘ auf dem Titelbild, die zum Willensbildungsprozess einer Gemeinschaft zum Einsatz kommt.

Stichwort

Mitverantwortung für die Sendung der Kirche

Dóci, Viliam Štefan

„Ich habe den Diözesanpastoralrat abgeschafft, denn das war mir zu lästig“, sagte der kanadische Bischof und schaute mich ein wenig provozierend an. „Spenden Sie das Sakrament der Firmung?“, fragte ich. „Ja, sicher, das macht mir richtig Spaß. Da sind viele junge Leute, das begeistert mich immer.“ „Und was spenden Sie denn da?“ „Na ja, den Heiligen Geist.“ Ich sah ihn an: „Oh, das ist ja schön. Wirkt dieser auch in und durch die Gläubigen? Wie kommt er Ihrem Bistum zugute?“ Er schaute mich ein wenig perplex an und meinte: „Woher soll ich wissen, ob und wie er wirkt?“ „Na ja,“ sagte ich, „da gäbe es zum Beispiel den Diözesanpastoralrat, in dem Sie das erfahren könnten.“

Demokratie – ein Kennzeichen des Dominikanerordens?

Dóci, Viliam Štefan

Die Spezifizität der „dominikanischen Demokratie“, die sich von einer säkularen Demokratie unterscheidet, wurde vom früheren Ordensmeister der Dominikaner Timothy Radcliffe, der zur Popularität des Begriffs in bezeichnendem Maße beitrug, in seinem Brief an den Orden von 1997 hervorgehoben. Nach Bruder Timothy ist die Struktur des Ordens an sich demokratisch, die Handlungen der Brüder können jedoch nicht-dominikanisch demokratisch werden. Dies geschieht zum Beispiel, wenn man in einem Entscheidungsfindungsprozess nur den Willen der Mehrheit durchzusetzen versucht, ohne auf die dem Orden eigene Sendung Rücksicht zu nehmen und das Wort Gottes zu hören. Im Sinne von Bruder Timothy sprach auch sein Nachfolger an der Spitze des Ordens, Carlos A. Azpiroz Costa, der jetzige Erzbischof von Bahía Blanca in Argentinien, von der Demokratie als einem „zentralen Element unserer Spiritualität“.

Die Spiritualität dominikanischer Ordensleitung

Radcliffe, Timothy

Die meisten Orden haben ihre eigene Spiritualität: Die Franziskaner haben den hl. Franziskus mit den Stigmata und der Liebe zur Schöpfung, die Benediktiner ihre weise Regel. Die Jesuiten haben die Exerzitien des hl. Ignatius, die Karmeliten die hl. Teresa von Ávila und ihren Aufstieg der Seele zu Gott, und auch die hl. Therese von Lisieux. Welche Spiritualität haben die Dominikaner? Eine ihrer Formen ist das Leitungssystem. Der hl. Dominikus hat uns keine Andachtsformen oder Gebetsmethoden hinterlassen, sondern einen demokratischen Weg, um Entscheidungen über unser gemeinsames Leben und unsere Sendung zu treffen. Wir legen unsere Profess auf das Buch der Konstitutionen ab, von denen die meisten mit unserer Leitung befasst sind.

Synodalität in ökumenischer Perspektive – am Beispiel der Ökumenischen Kirchentage

Helmke, Julia

„‚Grenzen‘ von Synodalität und ‚best practices‘ im Umgang mit Konflikten aus ökumenischer Erfahrung“ – so lautete die Anfrage an mich vom Frühsommer 2020. Als evangelische Pfarrerin ist mir das „synodale Prinzip“ in die religiöse Sozialisations-DNA eingeschrieben. Evangelische Kirche kann nur synodal gedacht werden. Die „synodal-presbyteriale“ Ordnung ist der Leitgedanke vor allem der reformierten Landeskirchen, bei den lutherisch geprägten ist die Rolle des*r Bischofs*Bischöfin deutlicher, das heißt, der Name und die Rolle des*r leitenden Geistlichen ist meist deutlich bekannter als von dem*r Synodenpräsidenten*in. Doch tief verankert ist, dass das eine nicht ohne das andere in der Leitung von Kirche geht. Etwas weniger tief, aber doch seit Jahrzehnten unbestritten ist auch, dass Männer und Frauen Leitungsämter übernehmen, auch im geistlichen Amt, und dies zum synodalen Prinzip gehört. Hier ist also eine (noch) bleibende Grenze zu anderen Konfessionen markiert.

Dogmatische Versuche über die Demokratie als Organisationsprinzip der katholischen Kirche

Seewald, Michael

Wer nach dem Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der Demokratie fragt, hat es mit zwei Gegenständen zu tun, die unterschiedlichen Kategorien angehören. Die Kirche ist ihrem gläubigen Selbstverständnis nach nicht nur, aber auch eine Organisation, die Demokratie hingegen stellt ein Organisationsprinzip dar, das auf Staaten, aber auch auf Sozialgebilde anderer Art Anwendung finden kann.

Ethische Überzeugungen im Konflikt mit demokratischen Mehrheitsentscheidungen

Lesch, Walter

Wer sich nach bestem Wissen und Gewissen am Wettbewerb der politischen Ideen beteiligt, wird nicht immer auf der Seite der Sieger stehen. Viele mit gut überlegter ethischer Begründung und großem persönlichem Engagement vertretene Anliegen sind nicht automatisch mehrheitsfähig. Idealerweise sollte daraus kein Gefühl der Unterlegenheit und der Aussichtslosigkeit erwachsen, vielmehr ein Ansporn für weitere Überzeugungsarbeit und die Suche nach weiteren Verbündeten. Ethische Überzeugungen sind keine Störfaktoren; sie gehören zu den Voraussetzungen einer lebendigen Demokratie und sind der Gegenstand einer rationalen Verständigung über Normen und Werte. Demokratie als Lebensform einer strukturell verankerten Ethik der Gesellschaft bietet Plattformen für die Austragung eines Wettstreits der Argumente und eröffnet die Partizipationschancen, um die es schlecht bestellt wäre, wenn die rechtsstaatliche Garantie demokratisch zu legitimierender und revidierbarer Entscheidungen verloren ginge.

Dominikanische Gestalt

Aniceto Fernández Alonso OP (1895–1981)

de Luis Carballada, Ricardo

Nach Meinung von Alonso D’Amato stellt „die Überarbeitung der Konstitutionen der Brüder ohne Zweifel das wichtigste Ereignis des Ordens im 20. Jahrhundert dar.“ Der Ursprung dieses markanten Ereignisses ist in der kirchlichen Erneuerung durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) zu suchen. Der Erfolg seiner konkreten Umsetzung jedoch ist zu einem großen Teil der sehr partizipativen Methode des damaligen Ordensmeisters der Dominikaner, Aniceto Fernández, zu verdanken. Sein Nachfolger im Amt des Ordensmeisters, Vincent de Couesnongle, der die überarbeiteten Konstitutionen in Kraft setzte, stellte sich die Frage, ob man nicht besser von den „Konstitutionen des Pater Fernández“ sprechen solle.

Wiedergelesen

Denkschrift einer Gruppe Walberberger Studenten (1968)

Halft, Dennis

1. Der Konvent als Gesellschaft der Freien[:] Eine wahre menschliche Zukunft kann nur gedacht werden, wenn man demokratisch denkt und handelt. Für den Orden [der Prediger] bedeutet das: er darf dieser Zukunft nicht im Wege stehen. Würde er ausfallen – und ohne Zukunftsperspektive wird er ausfallen – wäre zwar nicht die Katastrophe da, aber es gäbe eine mögliche demokratische Kraft weniger.