Mensch und Mitwelt | Schöpfung (3/2020)

Editorial

Halft, Dennis

Bis Anfang dieses Jahres war die Klima- und Umweltkrise in aller Munde. Doch die derzeitige mediale Verdrängung des Themas durch die aktuellen Herausforderungen der weltweiten SARS-CoV-2-Pandemie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Megathema Ökologie und die damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Fragen im Globalen Süden wie Norden noch lange virulent bleiben. Wie werden wir unserer ethischen Verantwortung gegenüber unserem Planeten und unseren Mitmenschen gerecht? Welche auch spirituelle Haltung braucht es im Umgang mit der Natur, um künftigen Generationen das Überleben zu sichern?

Stichwort

Das gemeinsame Haus der Schöpfung

Roth, Johannes

Die Schöpfung als gemeinsames Haus – diese Aussage geht auf Papst Franziskus zurück, der sie als Untertitel für seine Enzyklika Laudato si’1 wählte. Aber ist die Schöpfung wirklich ein gemeinsames Haus, um das sich der Mensch sorgt, oder sieht er sich eher als Herrscher und Nutznießer der Schöpfung? Welche Aufgabe und Verantwortung werden dem Menschen in diesem gemeinsamen Haus von Gott übertragen? Antworten darauf sind in der Heiligen Schrift zu finden, gleich zu Beginn in der ersten Schöpfungserzählung (Gen 1,1–2,3).

Umweltschutz im Spannungsverhältnis von Macht und Ohnmacht

Vogt, Markus

Die Selbstwahrnehmung der meisten Umweltschützer*innen ist in hohem Maße vom Gefühl der Ohnmacht geprägt: Trotz fundierten Wissens über den Klimawandel seit mehr als 30 Jahren und trotz aller weitreichenden Beschlüsse der Vereinten Nationen zum Klimaschutz steigt der globale CO2-Ausstoß scheinbar unaufhaltsam weiter. Die Corona-Krise bringt hier mutmaßlich nicht mehr als eine kleine Atempause. Zudem verschlingt sie die finanziellen Mittel, die für den europäischen Green Deal vorgesehen waren. Wir bauen zwar die erneuerbaren Energien aus, aber gleichzeitig erlebt die Menschheit derzeit die größte Renaissance der Kohle in ihrer Geschichte.1 Seit Jahrzehnten wird beschworen, wie lebenserhaltend wichtig die Stabilität und Biodiversität der globalen Ökosysteme ist; dennoch steigern wir durch die expansive Landnutzung die Vernichtung der Artenvielfalt im Bereich der Pflanzen und der Tiere sowie die Vielfalt der Ökosysteme in einem atemberaubenden Tempo. Auf diese Weise erodieren wir die Grundlagen unserer Wirtschaft, unserer Ernährungssicherheit und unserer Lebensqualität weltweit.2

Amazonien geht uns alle an

Weiler, Birgit

Die Amazoniensynode im Oktober 2019, einschließlich des vorbereitenden Dialogprozesses, an dem sich rund 87.000 Menschen beteiligten, war ein historischer Moment in der katholischen Kirche. Denn zum ersten Mal standen das ausgedehnte Amazonasgebiet, das sich über 7,5 Millionen Quadratkilometer erstreckt, und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die dort leben, insbesondere die 390 ursprünglichen oder indigenen Völker mit ihren etwa drei Millionen Mitgliedern, im Zentrum der Beratungen einer Synode. In den Dialogforen zur Konsultation und in der Synodenaula brachten die Vertreter*innen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen ihre Überlegungen, Kritiken und Vorschläge aus der Perspektive ihrer jeweiligen Kultur, Kosmovision und Spiritualität ein. Darin waren die Beziehung zum Amazonasgebiet, ihr angestammter Lebensraum und die gemeinsame Verantwortung der Gemeinschaft dafür im Horizont des Buen Vivir, des „Guten Lebens“, zentrale Themen. Im Folgenden möchte ich verschiedene Dimensionen aufzeigen, die im interkulturellen Dialog mit diesen Bevölkerungsgruppen die christlichen Schöpfungstheologien und -spiritualitäten sowie eine entsprechende Glaubenspraxis bereichern können.

Laudato si’ oder die Rolle der Kirche in der sozial-ökologischen „Großen Transformation“

Beling, Adrián E.

Die sozio-ökologischen Herausforderungen, denen die Welt heute gegenübersteht, erfordern mehr als technische, juristische und politische Antworten. Es besteht Bedarf an umfassenderen Antworten auf existenzielle und praktische Fragen, die sich aus der unabdingbaren Problematisierung der vorherrschenden, auf einem Externalisierungshabitus basierenden „imperialen“ Lebensweise ergeben, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene.1 Bei der aktuellen Benommenheit, die Umweltsituation rein technowissenschaftlich anzugehen, wird auf der Suche nach Lösungen ein potenziell wichtiger und tatkräftiger Akteur häufig übersehen: die Religionen bzw. die Kirche(n).

Jenseits anthropozentrischer Perspektiven

Maaroufi, Asmaa El

Ameisen, Mücken, Hunde, Elefanten, Kamele: Die augenscheinlich kleinsten bis hin zu den größten Tieren2 werden in verschiedenen Kontexten des Korans genannt. So tummeln sie sich mehr als zweihundert Mal in den 114 Suren des Korans. Gar tragen sechs dieser Kapitel Tiernamen als Überschrift. So trägt die zweite Sure des Korans beispielsweise den Namen „die Kuh“ (al-baqara), die 16. trägt den Namen „die Biene“ (al-na?l) und die 105. den Namen „der Elefant“ (al-f?l). All diese Tiererwähnungen finden dabei in den unterschiedlichsten Kontexten statt. Mal ist von ihnen in Gleichnissen die Rede, an anderer Stelle tauchen sie in Lehrstücken bzw. Narrationen auf, aber auch in Zusammenhang mit normativen Regelungen werden diese erwähnt. Im Folgenden soll sich jedoch jenen koranischen Momenten zugewandt werden, in denen Menschen und Tiere einander begegnen, um das ethische Moment hierbei darzustellen. So soll gezeigt werden, auf welche Weise eine islamische Theologie des 21. Jahrhunderts koranische Narrationen für eine (Tier-)Ethik des Mitseins von Mensch und Tier fruchtbar macht.

Mit der Schöpfung leben

Gerhard, Christoph

Vor einigen Jahren wurde ich bei einer internationalen Ausstellung ‚Woche der Umwelt‘, die bei Bundespräsident Johannes Rau in Bonn stattfand, von einem iranischen Delegationsmitglied gefragt, weshalb sich Christen für den Umweltschutz einsetzen würden. Daraus entstand ein reges Gespräch über mögliche Motive für die Entwicklung und Umstellung auf eine Energieversorgung, die nur mit regenerativen Quellen auskommt. Die Fragestellung erweiterte sich aber auch auf weitere Aspekte unseres Umgangs mit unserer Umwelt. Es ist offensichtlich, dass unser Energieverbrauch und dessen Herkunft bzw. Emissionen nicht die einzige Säule eines bewussten und verantworteten Lebens in der Welt, mit der wir gemeinsam leben, darstellt.

Dominikanische Gestalt

Matthew James Fox (geb. 1940)

Klein, Nikolaus

1976 gründete der US-amerikanische Theologe und damalige Dominikaner Matthew James Fox am Mundelein College in Chicago das Institute of Culture and Creation Spirituality (ICCS) und errichtete damit einen Masterstudiengang für Creation-Centered Spirituality. Mit dieser Institution sollte ein Forschungs- und Lernprogramm entwickelt werden, mit welchem auf die wachsende ökologische Krise mit ihrem Veränderungs- und Vernichtungspotenzial reagiert werden sollte. Fox war davon überzeugt, dass die dafür notwendigen theoretischen Ansätze und die damit verbundenen neuen Praxisformen nicht ausreichen, wenn sie nur als Korrektur unzureichender Erkenntnisse und davon abhängiger, unsachgemäßer Handlungen begriffen werden. Vielmehr seien neue theoretische Perspektiven und, als deren Folge, neuartige Handlungsmaximen notwendig. Für Fox als Theologe stellte sich damit die Frage, wie ein Rückgriff auf theologische und religiöse Traditionen unter den gegebenen historischen, ökonomischen, wissenschaftlichen und sozialen Veränderungen aussehen müsse, damit diese für einen Veränderungsprozess fruchtbar eingebracht werden können.

Wiedergelesen

„Frieden in Gerechtigkeit“: Erste Europäische Ökumenische Versammlung in Basel (1989)

Vesper, Stefan

„Wie sind wir in diese Lage hineingeraten? Was sind die tieferen Wurzeln der Bedrohungen, denen wir heute ausgesetzt sind? […] Der wahre Grund für diese Fehlentwicklung ist […] in den Herzen der Menschen, in ihrer Einstellung und Mentalität zu suchen. Da ist die Täuschung, daß der Mensch imstande sei, die Welt zu gestalten; die Vermessenheit, die zur Überschätzung der Rolle des Menschen im Hinblick auf das Ganze des Lebens führt; eine Ideologie des ständigen Wachstums ohne Bezug auf ethische Werte an der Wurzel der Wirtschaftssysteme in West und Ost; die Überzeugung, daß die geschaffene Welt uns zur Ausbeutung und nicht zur Fürsorge und Pflege übergeben sei; das blinde Vertrauen, daß neue Entdeckungen die jeweils entstehenden Probleme lösen werden und daraus folgend die Nichtbeachtung der Risiken, die durch unser eigenes Tun entstanden sind.“1