Befreiungstheologien | Fortschreibungen (4/2019)

Editorial

Engel, Ulrich

Was vorkonziliar mit Aktivisten wie dem (stark von Dominikanern beeinflussten) kolumbianischen Priester und Guerillero Camillo Torres (1929-1966) begann und mit dem „Katakombenpakt“ 1965 erstmals einen Teil der katholischen Hierarchie herausforderte, wurde mit der Neubestimmung des Kirche-Welt-Verhältnis im Vaticanum II auf eine kirchlich breite Basis gestellt: die Option für die Armen. Die erste Reise eines Papstes nach Lateinamerika 1968 (unser Titelbild zeigt Paul VI. beim Besuch eines Armenviertels in Bogotá,), die zweite Vollversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) in Medellín, Kolumbien, im selben Jahr, die von Gustavo Gutiérrez 1971 vorgelegte Publikation „Teología de la liberación“, die zum namensgebenden Referenzwerk werden sollte – all diese Ereignisse markieren den Weg, welchen der Ansatz einer befreienden Theologie genommen hat (vgl. die Beiträge von Jan Nikals Collet, Guillermo Fernández Berret OP und Marcela Ahumada Soto OP). Zugleich mussten sich die Vertreter*innen der Befreiungstheologie vieler Widerstände seitens der kirchlichen Hierarchie erwehren; erinnert sei an die zweifache Verurteilungen der Theologie der Befreiung durch den Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Josef Ratzinger, 1984 und 1986, an die römischen Maßregelungen einzelner Theologen wie z. B. die des Brasilianers Leonardo Boff OFM 1985 und 1991 und die ganzer Gruppen (vgl. den Beitrag von Ulrich Engel OP).

Stichwort

Eine gute Nachricht für die Armen

Collet, Jan Niklas

Vielleicht konsequenter als manch andere Theologie hat die lateinamerikanische Befreiungstheologie ihre Kontextualität in die eigene Tätigkeit integral mit einbezogen. Dies soll weder ihrer Regionalisierung (Reduktion auf lateinamerikanische Theologie) noch ihrer Historisierung (Reduktion auf ein Stück Kirchen- und Theologiegeschichte) das Wort reden. Die Vergewisserung ihrer historischen Genese zielt vielmehr auf eine grundlegende theologische Orientierung im Blick auf ihre bleibende praktische und theoretische Kraft – in Lateinamerika und darüber hinaus.

Lebt sie noch?

Beret, Guillermo Fernández

Für den Beginn einer der wichtigsten Richtungen innerhalb der Theologie des 20. Jahrhunderts haben sich zwei Gründungsdaten durchgesetzt: 1968 und 1971. Das erste bezieht sich auf das großkirchliche Ereignis, das diese Form des Theologietreibens offiziell anerkannte. Es ist die Feier der zweiten allgemeinen Konferenz des CELAM (Consejo Episcopal Latinoamericano – Lateinamerikanische Bischofskonferenz) in Medellín, Kolumbien. Das zweite Datum entspricht der Publikation des Buches „Teología de la Liberación. Perspectivas“1 des peruanischen Theologen Gustavo Gutiérrez.

Eine protestantische Theologie der Passion

Küster, Volker

Die Minjung-Theologie ist in den 1970er-Jahren im Widerstand gegen die südkoreanische Militärdiktatur entstanden.1 Als Christen stellten ihre Protagonisten eine Minderheit in einer größeren säkularen Emanzipationsbewegung dar, die für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Demokratisierung sowie für nationale Selbstbestimmung und Wiedervereinigung ihres geteilten Landes stritt. Die sino-koreanische Bezeichnung setzt sich aus den Silben Min Volk und -jung Masse, also „Masse des Volkes“, zusammen.

Eine afrikanische Theologie der Befreiung im Anschluss an Jean-Marc Ela

Mbima, Timothée Bouba

Es gibt viele Theorien und Kommentare über den Ursprung der afrikanischen Theologie südlich der Sahara, insbesondere in den frankophonen Ländern. In seiner skizzenhaften Darstellung der Geschichte der afrikanischen Theologie betont Gabriel Tchonang zu Recht, dass nach dem Niedergang des ersten Christentums in Nordafrika, verursacht durch den Ansturm arabisch-islamischer Kultur und politischer Macht, erst Anfang des 19. Jahrhunderts die christlichen Missionare an der Küste Westafrikas landeten, um das Evangelium den schwarzen Völkern zu verkündigen.

Islam der Befreiung

Gharbi, Kacem

Das folgende Gespräch mit Kacem Gharbi führten David Loher und Matthias Hui am 30. Mai 2016 im Romero-Haus Luzern für die Zeitschrift Neue Wege (9/2016, 20–25). Wir danken den Kollegen der ‚Neue Wege‘-Redaktion für die freundliche Erlaubnis, das Interview in ‚Wort und Antwort‘ neuerlich abdrucken zu dürfen. Die Zwischenüberschriften wurden von der ‚Wort und Antwort‘-Schriftleitung eingefügt.

Von Gott reden im Angesicht des Götzen ‚Freier Markt‘

Pöter, Gerhard

Wie von Gott reden, ohne in die Netze einer unterdrückenden, ausbeutenden und manipulierenden Gesellschaft zu geraten, die nur das Reden eines angepassten Götzen zulässt?1 Wie Gott hören, ohne dass der Filter des Fernsehens maßgebend wird, durch den nichts hindurch fallen darf, was nicht zum Nutzen der Reichen und Mächtigen ist, nichts, was nicht mit dem heute angeblich einzig möglichen Denken harmonisiert? Mir scheint notwendig zu sein, uns daran zu erinnern, dass Gott transzendent ist, immer weit hinaus über all unser Denken, Fühlen und Handeln, immer jenseits aller menschlichen Realisationen von Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit. Den transzendenten Gott können wir niemals besitzen, über ihn keine Aussagen machen, die absolut gewiss sind. Den Gott, wie er in der besten Tradition erscheint, können wir nur suchen, ersehnen, ständig aufs Neue ihm entgegengehen, uns von ihm überraschen lassen. Ein Gott, der nicht mehr überrascht, ist ein perfekt eingepasster Götze.

Dominikanische Gestalt

Marcela Soto Ahumada OP (* 1959)

Ahumada, Marcela Elba Gemma Soto

Statt wie in der Rubrik „Dominikanische Gestalt“ sonst üblich die Biographie eines Mitglieds des Predigerordens vorzustellen, lassen wir dieses Mal eine Dominikanerin selbst zu Wort kommen. Marcela Soto Ahumada OP gehört der Kongregation der „Dominicas Misioneras de la Sagrada Familia“ an und ist Promotorin für „Justitia et pax“ der „Conferencia de Dominicas de América Latina y El Caribe“ (CODALC). In Lehre und Forschung sowie in ihren Publikationen vertritt Marcela Soto Ahumada dezidiert befreiungstheologische, feministisch-theologische und indigen(-amerindisch)-theologische Ansätze. In diesem Sinne bietet der folgende Beitrag nicht nur einen Einblick in die Befreiungstheologie im globalen und amerindischen Kontext, sondern präsentiert implizit auch die Dominikanerin Marcela Soto Ahumada als eine der wichtigsten feministisch-amerindischen Befreiungstheologinnen des Predigerordens heute. (Schriftleitung)