Mia san mia | Identität durch Abgrenzung (2/2019)

Editorial

Frenz, Johannes | Halft, Dennis

Vor der Frage nach dem Selbst gibt es kein Entrinnen. Die eigene Identität bleibt eine unfreiwillige, lebenslange und multidimensionale Aufgabe, der sich jede und jeder kontextgebunden und innovatorisch stellen muss. Das geht nicht allein im sterilen Raum der Selbstreflexion, sondern wird durch Fremdzuschreibungen und soziale Zusammenhänge beeinflusst. In dieser Ambivalenz von Narrativen können Feindbilder durch Ängste geschürt werden; es drohen gesellschaftliche Spaltung und Entmenschlichung, wie anhand gegenwärtiger politischer Entwicklungen in Europa und den USA zu beobachten ist.

Stichwort

Identität

Eggensperger, Thomas

„Wir und die Anderen“, so beginnt die Suche nach Identität bzw. Identitäten. Das Thema der „Identität“ wird u. a. in den politischen Wissenschaften intensiv erörtert. Identitätsfragen gelten dort als „soft“, d. h. als „weiche“ Fragen, weil sie eher vor- oder wenigstens subpolitischer Natur seien. Und dennoch ist deutlich, dass politisch-institutionelle Selbstverständnisse durchaus eine Rolle spielen, wenn es um sozialintegrative Aufgaben des gesellschaftlichen Zusammenlebens geht. Identität ist zunächst die Erfahrung von Einzelnen oder von Gleichgesinnten und drückt deren Selbstverständnis aus. Dabei ist sie keine statische Größe, sondern vielmehr situativ erfassbar. Man spricht von „doing identity“ und deutet damit das Prozesshafte an der Identitätsbildung an. Es ist also etwas in Bewegung.

„Jakob hatte zwölf Söhne“ (Gen 35,22). Die Konstruktion kollektiver Identität im alten Israel

Weingart, Kristin

Von „Israel“ ist im Alten Testament viel die Rede. Angesichts der zentralen Rolle, die das Volk Israel, sein Verhältnis zu und seine Geschichte mit seinem Gott im ersten Teil des Kanons einnehmen, kann dies kaum überraschen. So weiß das Alte Testament ausführlich von Jakob/Israel, dem eponymen Erzvater zu berichten, es erklärt, was der Name „Israel“ bedeutet und thematisiert die besondere Rolle Israels im Kreis der Völker. Dafür aber, was Israel ist, was einen Israeliten zum Israeliten macht, welche Kriterien über Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu Israel entscheiden, wie also die kollektive Identität Israels genau bestimmt ist, dafür findet sich nirgendwo eine explizite Definition.

Plädoyer für eine pragmatisch-ethische Identität

Geyer, Felix

Vom lateinischen Wort idem stammend meint Identität so viel wie der/die/das Gleiche oder Dasselbe. Was es denn sein soll, das da gleich bleibt, und wer dieses Gleiche als gleich bezeichnet und deutet, das ist natürlich damit noch nicht bestimmt. So kann eine räumlich-zeitliche Kategorie angesprochen sein, die durch die Fragen ‚Woher komme ich?‘ und ‚Wie bin ich geworden?‘ gekennzeichnet ist. Es könnte aber auch eine auf die charakterlichen Eigenschaften abzielende Bedeutung des Gleichbleibens bezogen werden. In dieser Perspektive stünden die Fragen ‚Was macht mich aus?‘ oder ‚Wie denke, fühle etc. ich?‘ im Vordergrund. Schließlich könnte so etwas wie eine konstruktive Perspektive auf dieses Gleiche in einer Biografie eingenommen werden, das man als Deute- oder Erinnerungsidentität bezeichnen könnte und das auf die Fragen antwortet ‚Wie deute und definiere ich mich angesichts meiner Erfahrungen?‘ und ‚Als was sehe ich mich?‘.1

Flexible Gläubige und ihre rhizomatischen Identitäten

Kalsky, Manuela

In den säkularisierten Ländern Europas gibt es viele „spirituelle Pilger“, wie der kanadische Philosoph Charles Taylor in seinem Magnum Opus Ein säkulares Zeitalter zu Recht bemerkt und beschreibt.2 Sie haben den traditionellen christlichen Institutionen den Rücken gekehrt und sich auf die Suche nach einer Spiritualität ohne hierarchische Gemeinschaftsformen und religiös-dogmatische Wahrheitsansprüche gemacht. Religion ist im Zuge der Modernisierung nicht verschwunden, wie die Vertreter der Säkularisierungstheorie prophezeiten, sondern sie erscheint in neuen Ausdrucksformen. So schöpft eine nicht geringe Anzahl dieser spirituellen Pilger aus unterschiedlichen religiösen Traditionen als Quelle spiritueller Inspiration und transreligiöser Lebensweisen. Auf diese ‚flexiblen Gläubigen‘ gehe ich am Beispiel der Niederlande nun im Folgenden näher ein.

Die Alt-Katholische Kirche. Katholisch und ökumenisch

Eßer, Günter

In den säkularisierten Ländern Europas gibt es viele „spirituelle Pilger“, wie der kanadische Philosoph Charles Taylor in seinem Magnum Opus Ein säkulares Zeitalter zu Recht bemerkt und beschreibt.2 Sie haben den traditionellen christlichen Institutionen den Rücken gekehrt und sich auf die Suche nach einer Spiritualität ohne hierarchische Gemeinschaftsformen und religiös-dogmatische Wahrheitsansprüche gemacht. Religion ist im Zuge der Modernisierung nicht verschwunden, wie die Vertreter der Säkularisierungstheorie prophezeiten, sondern sie erscheint in neuen Ausdrucksformen. So schöpft eine nicht geringe Anzahl dieser spirituellen Pilger aus unterschiedlichen religiösen Traditionen als Quelle spiritueller Inspiration und transreligiöser Lebensweisen. Auf diese ‚flexiblen Gläubigen‘ gehe ich am Beispiel der Niederlande nun im Folgenden näher ein.

Europäische Identität und Identitätspolitik von rechts

Hentges, Gudrun | Platzer, Hans-Wolfgang

Mit dem Voranschreiten der europäischen Integration in den vergangenen Dekaden und den damit verbundenen ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Europäisierungsprozessen wurde die Frage nach einer europäischen Identität zu einem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung, weil kollektive Identitätsbildungen durch die hinzutretende Bezugsgröße ‚Europa‘ weiter pluralisiert werden und „auch der transnationale öffentliche Raum […] mittlerweile gleichsam als eine Art Großlaboratorium für kollektive Bewusstseinsbildung [fungiert], deren Richtung und Ausprägungen derzeit noch nicht absehbar sind.“1 Viele Fragen nach den Voraussetzungen, Entstehungsbedingungen, Notwendigkeiten, Ausprägungen und Wirkungsrichtungen einer europäischen Identität bzw. einer Identität der Europäischen Union sind wissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt. Dennoch lassen sich auf der Basis vorliegender quantitativ-empirischer wie auch diskursanalytischer Untersuchungen einige für unseren Debattenbeitrag relevante Eckpunkte skizzieren.2

Dominikanische Gestalt

Hanna-Renate Laurien OPL (1928–2010)

Vogel, Bernhard

Hanna-Renate Laurien war eine ganz und gar ungewöhnliche Persönlichkeit. Eine Frau, die ihr ganzes Leben in den Dienst unseres Gemeinwesens gestellt hat und die dadurch für viele von uns zum Vorbild geworden ist. Sie hat es verdient, nicht vergessen zu werden. 1928 in Danzig geboren, wuchs sie in einem protestantisch-gutbürgerlichen Elternhaus auf. Gegen Ende des Krieges meldete sie sich freiwillig zum Arbeitsdienst, um einer Zwangsverpflichtung zu entgehen. 1946 begann sie in Berlin ihr Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie an der im Ostteil der Stadt gelegenen Universität, wurde aber zwei Jahre später zu einer der Mitbegründer*innen der Freien Universität. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich als Platzanweiserin, als Stenotypistin und Fürsorgerin.