Jesaja | Quer gelesen (4/2018)

Editorial

Eggensperger, Thomas | Prcela, Frano

Das Buch Jesaja kommt recht adventlich daher! Im liturgischen Jahr spielt das Buch vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit eine besondere Rolle und wird vielfach in Gottesdiensten gelesen. Unter dem Titel „Jesaja. Quer gelesen“ präsentieren wir neben der liturgischen Rezeption eine Reihe anderer Angänge im Umgang mit dem Propheten: feministische, jüdische, politische, ästhetische …

Stichwort

Jesaja

Berges, Ulrich

Das Jesajabuch ist wie auch die übrigen biblischen Schriften kein Buch im herkömmlichen Sinn, sondern eine literarische Kathedrale, die von ca. 700 v. Chr. bis etwa 300 v. Chr. entstanden ist. Damit erübrigt sich die konservative, noch bis ins erste Drittel des vorigen Jahrhunderts von der Päpstlichen Bibelkommission vertretene Ansicht, die gesamte Schrift stamme vom Propheten Jesaja ben Amoz als alleinigem Autor. Doch auch die besonders durch den protestantischen Alttestamentler Bernhard Duhm in seinem epochalen Jesaja-Kommentar aus dem Jahre 1892 vorgeschlagene Lösung von drei Büchern aus drei Epochen (Protojesaja Jes 1–39 aus assyrischer Zeit; Deuterojesaja Jes 40–55 aus babylonischer Zeit; Tritojesaja Jes 56–66 aus persischer Zeit) kommt seit ca. 30 Jahren immer stärker unter Druck. Für eine solche scharfe Trennung zwischen den einzelnen Teilen sind die Querverbindungen zu stark und die innerjesajanischen Schriftverweise zu zahlreich. Zudem geht kein anerkannter Exeget mehr davon aus, dass z. B. Jes 24–27, die sogenannte „Apokalypse“, aus assyrischer Zeit stamme, sondern dieser Text gehört in die spätpersische, wenn nicht gar in die frühhellenistische Periode.

Licht „im Land der Stockfinsternis“. Mit Jesaja zu einer Politik der Hoffnung finden

Winter, Stephan

Sie ist in geradezu Besorgnis erregender Weise zu einem weltweiten Trend geworden: die Parole „My country first!“, wie sie v. a. Donald Trump prominent gemacht hat. Diese Parole in der Version „America first!“ kann als eine Art Kurzformel für eine Außenpolitik gelten, die – wie Andreas Lau schon ganz zu Beginn der Präsidentschaft von Trump festgestellt hat1 – von vier Grundzügen gekennzeichnet ist: „Sie ist isolationistisch – keine Beteiligung an militärischen Aktionen ohne direkten Bezug zur nationalen Sicherheit […]. Sie ist protektionistisch – an höchster Stelle steht der Schutz vor unfairem Wettbewerb […]. Sie ist realistisch – in dem Sinn, dass ein starker amerikanischer Präsident mit anderen Führern ungeachtet ideologischer Differenzen und ohne Rücksicht auf Werte Deals machen sollte, die den eigenen Interessen nutzen. Sie ist transaktionistisch – und damit ein Bruch mit dem Selbstverständnis der USA als Hegemon, der als Vorleistung Institutionen bereitstellt (NATO, UNO, NAFTA), die ihm nicht unmittelbar gleich viel nutzen wie seinen Partnern.“ „[D]iese Außenpolitik“, so stellt Lau schließlich fest, „[…] beinhaltet sehr klare, allerdings auch sehr falsche Antworten auf echte Probleme. Es wäre besser, die Europäer setzten sich selber hin und formulierten ihre eigene Außenpolitik endlich einmal aus: Warum der Isolationismus kurzsichtig ist und am Ende teurer als die vielen internationalen Verpflichtungen. Wie man ohne Protektionismus und Mauern die Arbeiter schützt. Warum purer Realismus gegen Wladimir Putin und Xi Jinping unrealistisch ist. Was Amerikas Partner sich für eigene, neue Beiträge zur gemeinsamen Sicherheit vorstellen können. Das sind doch lohnende Denksportaufgaben.“

Zur Visualisierung des Weiblichen im Jesajabuch

Fischer, Irmtraud

Ungeachtet dessen, dass alle Schriftpropheten unter männlichen Eigennamen überliefert und in der Rezeptionsgeschichte charismatischen Männern zugeschrieben wurden, gibt es gerade in Jesaja Gründe zur Annahme, dass auch Frauen einige der in diesem Buch gesammelten Texte verfasst haben könnten. Obwohl dieses Prophetenbuch fast keine Frauen namentlich benennt, ist es in seiner metaphorischen Rede überaus reich an weiblichen Personifikationen und Bildern aus dem Bereich der weiblichen Biologie, die auf eine weibliche Innensicht verweisen. Dieser Beitrag beschäftigt sich nicht mit den ohnedies immer hypothetischen Fragen von Verfasserschaft, sondern mit der vielfältigen Visualisierung des Weiblichen in diesem durch Jahrhunderte gewachsenen prophetischen Buch.

Der Gottesknecht

Krochmalnik, Daniel

Im Namen Jesajas bringt einer seiner Schüler (Limmudim, 8,16. 50,4) den Juden im babylonischen Exil die frohe Botschaft (Jes 40–54): „Tröstet, tröstet mein Volk!“ (Nachamu Nachamu, 40,1). Er ruft den Herrn des Exodus: „Erwache, erwache (Uri Uri, 51,9) und bekommt die Antwort: „Ich selber, ich selber bins, der euch tröstet“ (Anochi, Anochi Hu Menachemchem, 51,12); er rüttelt das deprimierte Volk auf: „Erwache, erwache!“ (Hitoreri, Hitoreri) „Auf, auf!“ (Uri Uri, 52,1.17), es gebe wieder Grund zur Freude: „Jauchzet, jubelt!“ (Pizchu Ranenu, 52,7), der neue Exodus stehe unmittelbar bevor: „Entweichet, entweichet!“ (Suru Suru, 52,11); er eröffnet glänzende Zukunftsaussichten „Jubele, Unfruchtbare, brich in Jubel aus und jauchze“ (Pizchi Rani WeZahali, 54,1). Und mitten in diesen aufpeitschenden Aufrufen: Nachamu Nachamu! Uri Uri! Anochi, Anochi! Hitoreri, Hitoreri! Pizchu Ranenu! Suru Suru! Pizchi Rani! – erklingt das in der Bibelwissenschaft sogenannte 4. Gottesknecht - Lied (52,13–53,12).2

„Stehe auf und werde licht …“. Jesaja in der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR

Misselwitz, Ruth

Als ich 1981 als Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Alt-Pankow in Ostberlin meinen Dienst begann, hatten wir allen Grund, um die Zukunft unserer Kinder zu bangen. Wir lebten in einer Stadt, durch die mitten hindurch eine Mauer gebaut war, die zwei feindliche Lager voneinander trennte. Beide Lager waren mit konventionellen und atomaren Waffen bis an die Zähne bewaffnet. Die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen – sowjetische SS 20-Raketen auf dem Territorium der DDR und amerikanische Pershing-Raketen auf dem Territorium der Bundesrepublik – drohte bei ihrem Einsatz das zu zerstören, was sie angeblich schützen sollten. Ein atomares Inferno wurde zum Bestandteil militärischer Planungen auf beiden Seiten. Die Rüstungsausgaben verschlangen die Mittel, die für den Auf- und Ausbau einer intakten zivilen Gesellschaft dringend benötigt wurden. Die immer weiter um sich greifenden Umweltzerstörungen waren nicht mehr zu übersehen, die demokratisch-bürgerlichen Rechte fielen einer sich zuspitzenden Feind- und Abgrenzungsideologie zum Opfer.

Der Prophet Jesaja – ein musikalischer Longseller?

Müller, Wolfgang W.

Die Zitation des Lobpreises der Engel im Visionsbericht im sechsten Kapitel des Prophetenbuchs Jesaja sichert diesem einen festen Platz in den musikalischen Kompositionen der Eucharistie. Es soll zunächst an die Literatur der musikalischen Vertonungen des Sanctus erinnert werden (vgl. Jes 3). Texte des Propheten finden sich ebenso in der Komposition „Messias“ von Händel. Hier rekurriert der Komponist vor allem Texte, die sich auf das Kommen des Messias beziehen. Diesen Aspekt nehmen auch Motetten, Kantaten und geistliche Lieder auf, die sich thematisch unter dem Aspekt einer Weihnachtsmusik zusammenfassen lassen (z. B. „Puer natus est/Uns ist ein Kind geboren“). Trostworte des Propheten finden sich in Trauermusiken (Bachs Kantate BWV 106 „Actus tragicus“ bezieht sich auf Jes 38,1; das Deutsche Requiem von Brahms nimmt folgende Passagen aus dem Propheten auf: 35,10; 66,13a). Aus den Gottesknechtsliedern des Deuterojesaja haben Buxtehude, Mendelssohn-Bartholdy u. a. die Textstelle 53,4: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit“ vertont. In der Zweiten Sinfonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy finden sich Gebete aus dem Propheten Jesaja (12,4; 21,11–12).

Dominikanische Gestalt

Die Kommunität des Hauses Saint-Isaïe

Laurent, Annie

Das Haus Saint-Isaïe in Jerusalem verdankt seine Existenz einem französischen Dominikaner jüdischer Herkunft, P. Bruno Hussar.1 Dessen Provinzial, P. Albert-Marie Avril, hatte ihn 1953 nach Israel geschickt, um dort ein Zentrum für jüdische Studien als Gegenstück zum Dominikanischen Zentrum für islamische Studien in Kairo zu errichten. P. Avril wollte ein Zentrum zugunsten des Ordens und der Kirche, um durch das Studium der jüdischen Wissenschaften (Bibel, Geschichte, Philosophie, Literatur, Mystik, Gebet) die Christen zu ermutigen und ihnen zu helfen, die Beziehung zwischen der Kirche und Israel zu entdecken und anzuerkennen.

Wiedergelesen

Hieronymus „Commentarii in Isaiam prophetam“ (408–410)

Hornung, Christian

Zu Jes 52, 13, dem Auftakt des vierten der sog. Gottesknechtslieder: „Seht, mein Knecht wird weise sein, erhöht werden, hoch emporsteigen und sehr erhaben sein“ legt Hieronymus aus: Und den Lesern soll nicht ein Zweifel darüber bestehen bleiben, wer der ist, der sagt: ‚Ich bin es, der da spricht: Ich bin da‘ (Jes 52,6) und was der heilige Arm des Herrn bedeutet (Jes 52,10), der vor allen Völkern geoffenbart worden ist. Denn Gott, der allmächtige Vater, lehrt darüber eindeutig: Seht, ‚mein Knecht‘ wird weise sein oder (mit der Seputaginta) ‚mein Sohn‘, eine Differenzierung, über die wir oben gesprochen haben. Er wird aber weise sein, nicht wie das Wort und die Weisheit Gottes, sondern wie ein Knecht und Sohn. Als dieser in der Gestalt Gottes war, hat er ihn für würdig erachtet, die Gestalt eines Knechtes anzunehmen, und dieser war dem Vater gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Deshalb hat er (scil. der Vater) ihn (scil. den Sohn) erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist (Phil 2,9)“.