Sich reiben am Katholischen | Beispiel Österreich (2/2020)

Editorial

Eggensperger, Thomas | Prcela, Frano

Je nach Perspektive der Leserschaft im deutschsprachigen Raum ist Österreich unmittelbarer Nachbar oder eigener Lebensmittelpunkt. Österreich hat – wie jedes Land auch – eine eigene Tradition und lebt hinsichtlich Religiosität und Kirchlichkeit aus eben dieser. Sie lässt sich zumeist nicht ableiten aus der Geschichte Deutschlands (oder der Schweiz), sodass es sinnvoll ist, die Frage nach dem „Katholischen“ in Österreich zu stellen. In der Religiosität lassen sich – wenig überraschend – bestimmte Transformationsprozesse feststellen, die sich lohnen evaluiert zu werden, da sie auch außerhalb des österreichischen Umfelds von Relevanz sind.

Stichwort

Wie ticken junge Katholik*innen in Österreich?

Lee, Joanna Jimin

Obwohl die katholische Kirche auch in Österreich stetig Mitglieder verliert, kann sie sich an den religiösen Bewegungen junger Katholik*innen erfreuen.1 Im Gesamtkontext jedoch dürften diese aktiven Gruppierungen eine kleine Minderheit bilden: Zwischen 2014–2016 bezeichneten sich 44 % der jungen Österreicher*innen (16–29 Jahre) selber als katholisch. Davon gaben 3 % an, wöchentlich oder öfter an Gottesdiensten teilzunehmen, 17 % davon aber praktisch nie.2 Anhand der folgenden Porträts versuche ich, die Themen junger Katholik*innen in Österreich und ihr Verhalten gegenüber der Kirche exemplarisch wiederzugeben. Die Personenbeschreibungen sind fiktiv zusammengestellt, beruhen jedoch auf reale Begebenheiten.

Demographie und Religion in Österreich

Goujon, Anne | Jurasszovich, Sandra | Potančoková, Michaela

Die österreichische Bevölkerung war und ist auch noch heute überwiegend römisch-katholisch, wenn auch einige religiöse Minderheiten – vor allem protestantische und jüdische – seit mehreren Jahrhunderten in Österreich zu finden sind. Bis vor einigen Jahrzehnten waren die meisten Veränderungen der religiösen Landschaft in Österreich auf den Vollzug von Glaubenslehren und Doktrinen durch die religiösen Autoritäten, wie beispielsweise die Gegenreformation im 17. Jahrhundert, und/oder durch die regierende politische Macht, wie beispielsweise die Judenpogrome und den darauf folgenden Holocaust unter dem nationalsozialistischen Regime, zurückzuführen.1

Ordensleben in Österreich

Birnbacher, Korbinian

Vom jüngst verstorbenen Johann Baptist Metz stammt die berühmt gewordene Formulierung, dass die Orden eine Schocktherapie des Heiligen Geistes für die Großkirche1 seien. Dieses zugegeben etwas plakative wording zu Mystik und Politik der Nachfolge zielt auf das Prophetische, das Alternative, ja das Subversive der Ordensgemeinschaften im Charisma der Kirche. Ordensgemeinschaften und auch einzelne Ordensleute haben immer wieder korrektive Initiativen gesetzt, wenn die Kirche wieder einmal drohte abzudriften, auf irrige Wege zu geraten, die Berufung zu verraten. Das gilt für alle Mitglieder des gottgeweihten Lebens, das gilt aber auch für die Ordensleute in Österreich. Das Kritisch-Subversive ist ein Kennzeichen der Ordensleute, oft genug bezeichnet es das Mahnende und Erinnernde: Was gehört letztlich zur radikalen Botschaft des Evangeliums? Anderseits steht das Ordensleben für das Stabile, das Bleibende, das Verbindliche, ja die Treue im Leben der Kirche. In diesem Spannungsfeld steht die Kirche, das Ordensleben … auch in Österreich!

Malerei als kontemplativer Weg

Brogl, Thomas G.

Selbstzweifel durchziehen die Biographie des österreichischen Malers Arnulf Rainer (*1929), besonders in jungen Jahren. Nach bestandener Aufnahmeprüfung verbrachte er nur wenige Tage an den Wiener Institutionen der Hochschule für angewandte Kunst und der Akademie der bildenden Künste. Zum Teil wurden seine Arbeiten als „entartet“ gebrandmarkt, er galt als „enfant terrible“ der Wiener Kunstszene und empfand sich „soziokulturell an den Rand gedrückt“ (236)1. Nach einem ersten Kontakt mit ostasiatischen Religionen brachten ihn die Begegnungen mit dem Domprediger und Künstlerseelsorger Otto Maurer und dem Dominikaner Diego Hanns Goetz in Kontakt mit dem Christentum, besonders in dessen mystischer Ausformung. Nach seinem Selbstzeugnis half ihm dies aus seiner existentiellen Not, weil er dort „Parallelen … oder Metaphern für das, was ich in der Malerei produziert habe“ (236), fand. Diese Begegnung war für ihn gänzlich neu, denn Rainer wuchs als Jugendlicher in einer „areligiösen“ Umwelt auf, was er im Nachhinein als Glücksfall empfand, weil ihm so dieser Zugang unverstellt blieb und er „die Religion über meine künstlerische Arbeit“ (236) entdeckte.

Eine smarte Sommerfrische als Hotspot reflexiver Katholizität

Dürnberger, Martin

Heatmaps visualisieren, wo es noch heiß hergeht oder schon alles erkaltet ist. Sie helfen zu erkennen, wo sich noch Glut finden lässt und wo bereits kalte Asche liegt. Derlei zu wissen, ist bekanntlich auch da von Interesse, wo es nicht um physisch messbare, sondern um kulturell beobachtbare Phänomene geht: Auch kirchlich und theologisch gilt es ja zu verstehen, wo die eigene Botschaft produktive Reibungswärme erzeugt (oder nur noch kalt lässt), wo es in der eigenen Gemeinschaft brennt (oder die Brandgefahr gebannt ist) oder womit man Aufmerksamkeit entfacht.

Katholische Kirche und Gesellschaft – ein österreichisches Verhältnis

Friedrich, Otto

Das Verhältnis von katholischer Kirche und Gesellschaft in Österreich ist Anfang 2020 nicht leicht zu beschreiben – und vermutlich wie in anderen europäischen Situationen als sehr komplex und uneindeutig zu verstehen. Zusätzlich fußt es auf einer spezifischen Zeitgeschichte, die zwar nicht unabhängig von Entwicklungen in vergleichbaren Ländern verläuft, aber doch eigene Besonderheiten aufweist. Nachstehende, durchaus persönliche Beobachtungen und Schlussfolgerungen aus der Perspektive eines langjährigen Religionsjournalisten in Österreich mögen als Hinweise zur Lage dienen – und keineswegs den Anspruch einer umfassenden Darstellung erheben.

Dominikanische Gestalt

Diego Hanns Goetz OP (1911–1980)

Engel, Ulrich

Einer, der gar nicht aus Österreich stammte, sollte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Inbegriff der Dominikaner in Wien werden: Diego Hanns Goetz OP.1